Rezension

Held wider Willen und besseren Wissens

Der Held vom Bahnhof Friedrichstraße -

Der Held vom Bahnhof Friedrichstraße
von Maxim Leo

Michael Hartung führt seit Jahren ein Leben ohne besondere Vorkommnisse. Hart ausgedrückt könnte man auch sagen: er ist gescheitert. Wohnt im Hinterzimmer seiner schlecht laufenden Videothek, zur Tochter besteht kein Kontakt, ein Sozialleben spielt sich zwischen dem Kiosk gegenüber und Begegnungen mit Nachbarin Beate ab. Irgendwie war es auch nie anders. Eine große Laufbahn war für ihn in der DDR nicht geplant, ein paar Jahre Stellwerksmeister, dann im Braunkohleabbau, schließlich die Videothek, kurz vor dem Aus. Michael führt sein Leben leidenschaftslos.

Zum 30. Tag des Mauerfalls braucht ein aufstrebender Journalist nun eine Story, jenseits des drögen immer wieder gleichen Berichts zur Wiedervereinigung. So stößt Alexander Landmann auf eine Geschichte, die ihresgleichen sucht: eine Massenflucht in einem S-Bahn-Zug über den S-Bahnhof Berlin-Friedrichstraße. Hauptrolle: Michael Hartung. Der ist vollkommen konsterniert, als der Journalist ihm von seiner Heldentat berichtet. Selbstverständlich an den Zwischenfall kann er sich erinnern, nicht jedoch an seine heldenhafte Rolle in diesem Szenario. Letztlich lockt der finanzielle Anreiz, aber er hält sich vage. Dann jedoch gewinnt die ganze Sache eine aufhaltbare Eigendynamik. Die Story wird ohne weitere Absprache zum Aufmacher, denn auch Journalist Landmann hat sich in eine Situation manövriert aus der es kein Zurück mehr gibt. Die beiden kommen überein: Michael Hartung wird den Helden in dieser Geschichte spielen. Wider Erwarten ist dies jedoch keine Eintagsfliege und nimmt Fahrt auf: plötzlich steht der blasse Michael im Mittelpunkt des Interesses. Nicht nur seine Tochter meldet sich, Journalisten belagern sein Zuhause, Talkshow-Auftritte folgen, sogar eine Einladung zum Bundespräsidenten, er verliebt sich in eine Frau, die er unter normalen Umständen nie getroffen hätte. Sein Leben bekommt eine ganz andere Dynamik und doch steht er auch vor Problemen, die er nie zuvor hatte. Und selbstverständlich werden auch Nachforschungen angestellt, denn genauso selbstverständlich gibt es Menschen, die genau wie Michael Hartung wissen, was tatsächlich geschehen ist. Aber einen Helden vom Podest zu schubsen gibt selten gute Publicity…

 

„Der Held vom Bahnhof Friedrichstraße“ erzählt die zugleich anrührende als auch humorvolle Geschichte eines Helden wider Willen. Großartig ist die Darstellung der Dynamik, die eine Sache entwickelt, die unfreiwillig ins Rollen gebracht wurde, und fortan Einfluss auf nicht nur ein, sondern viele Leben hat. Michael Hartung ist der Prototyp des unauffälligen Normalverbrauchers, dessen Leben keinerlei Höhen mehr erfahren wird. Ja, diese eine merkwürdige Episode in der Vergangenheit, hat man ja selbst schon fast vergessen. Doch dadurch kommt letztlich sein Leben in Schwung, was ihm auf irgendeine Weise auch gut gefällt, vieles ändert sich für ihn zum Positiven. Gut dargestellt wird, wie in ihm das Gefühl wächst, ein Fremdkörper in seinem neuen Leben zu sein und das gerade, wenn er sich dieses neue Leben erhalten will, er das demontieren muss, was es erst ermöglicht hat und er die Lüge entlarven muss.

Das alles unterhält, durch den flüssigen Stil der Erzählung, durch den feinen Humor, und berührt gleichzeitig durch die feine Psychologie dahinter. Leichtigkeit und Tiefe besitzen hier eine sehr ausgewogene und stimmige Koexistenz.