Rezension

Helden am Bau

Die Kathedrale des Lichts - Ruben Laurin

Die Kathedrale des Lichts
von Ruben Laurin

Bewertet mit 3.5 Sternen

Ich bin ein großer Fan von Kirchen und Kathedralen. Wenn man in einer fremden Umgebung unterwegs ist, kann einem der gut sichtbare Kirchturm gut zur Navigation dienen. Im Dörflichen ist die Kirche meist im Mittelpunkt des Ortskern gebaut worden, man findet also immer zurück ins Zentrum. In den Großstädten ist es schon etwas schwieriger. Während früher nicht höher als der Kirchturm gebaut werden durfte, spielt das in der modernen Architektur keine Rolle mehr. Hier wird man beim Stadtspaziergang plötzlich überrascht, wenn zwischen den Straßenschluchten unvermutet eine Kirche auftaucht. Selbst die großen Kathedralen sind nicht in jeder Skyline so unverwechselbar und unverzichtbar wie der Dom in Köln.

Die Kirche als Haus Gottes spielt heute auch keine so große Rolle mehr, wie noch vor 50 oder 100 Jahren. Dennoch können sich die prunkvollen Gotteshäuser nicht unbedingt über fehlende Touristen beschweren. Wer einmal im Petersdom in Rom war, der weiß, wovon ich rede. Dieser teilweise über Jahrhunderte dauernde Kraftakt des Kathedralenbaus ist einfach faszinierend und die Aura dieser Gebäude unvergleichlich. Diese Gebäude sollen auf den ersten Blick den Glauben und das Lobpreisen Gottes symbolisieren, doch sie sind auch Zeichen politischer Macht. Das lässt sich aus Ruben Laurins Roman über den Baubeginn des Magdeburger Doms gut herauslesen. Dabei liegt sein Augenmerk auf den eigentlichen Helden am Bau – das sind die Baumeister, die Handwerker und die Steinmetze mit ihren Familien. Ohne sie kann Papst oder Erzbischof nur von einem noch größeren Prunkbau träumen.

Laurin bettet seine Figuren ein in einen vergleichsweise kurzen historischen Zeitabschnitt im Mittelalter des 13. Jahrhunderts. Es ist die Zeit der Ritter, der Kreuzzüge, der katholischen Kirche und des Ablasshandels. Markgrafen erklären sich gegenseitig den Krieg, überfallen Dörfer in ihren jeweiligen Grenzregionen. Es gilt das Recht des Stärkeren. Die Handlung führt aus vielen verschiedenen Reichen Europas ein Figurenensemble in Magdeburg zusammen, dessen zwischenmenschliche Reibereien um die schöne Helena, des Baumeisters Tochter, für Spannung und Herzschmerz sorgen. Alles vor der Kulisse des entstehenden Doms, der eine Kathedrale des Lichts werden soll und sich an der damals modernsten sakralen Architektur orientierte: der Gotik.

Laurins Historienroman ist eine Mischung aus Thriller, Liebesschmonzette, Mystikerbiografie, Heiligenlegende, Ritterepos und Bildhauersachbuch. Alles Zutaten, die in wohldosierter Form eine unterhaltsame Geschichte ergeben, in der sich der Autor nicht davor scheut, mittendrin auch auf die ein oder andere Hauptfigur zu verzichten, an geeigneter Stelle die Grausamkeit der Zeit ungeschönt darzustellen und dem modernen Begriff der posttraumatischen Belastungsstörung ein historisches Gewand zu verpassen.

Mich reizt es nach der Lektüre ungemein, dem Magdeburger Dom einen Besuch abzustatten und mir die zehn Jungfrauen an der Paradiespforte mit eigenen Augen anzusehen. Vielleicht erscheint mir der Heilige Mauritius oder ich begegne Mechthild von Magdeburg bei ihrem Betgang durch die Domhallen. Den Dom werde ich von nun an jedenfalls mit anderen Augen sehen.