Rezension

Hellsichtiger Noir-Thriller

Paradise City - Zoë Beck

Paradise City
von Zoë Beck

Bewertet mit 5 Sternen

In Zoë Becks Endzeit-Thriller, der im Deutschland der Zukunft spielt, ist Berlin nur noch Touri-Kulisse und Frankfurt, mit dem Großgebiet Rhein-Main verschmolzen, die neue Hauptstadt. Alles funktioniert perfekt, auch die von der Gesundheitsministerin lancierte Gesundheits-APP KOS, die dir jederzeit sagt, wie es dir geht, was du tun oder lassen solltest und die einen Krankenwagen ruft, wenn es nötig ist. Die Bevölkerung goutiert das, eine Protestkultur gibt es nicht. Einzig die „Parallelen“ haben sich aus der schönen neuen Welt ausgeklinkt und führen ein unbeachtetes, autonomes Leben in den verlassenen Dörfern auf dem Land.

Liina, Becks Protagonistin, ist (zumindest optisch) der  Sängerin „Skin“ von Skunk Anansie nachempfunden. Sie ist verdeckte Ermittlerin für das letzte unabhängige Presseorgan, das zwar toleriert wird, dessen Mitarbeiter aber subtile Nachteile erleiden und deshalb virtuelle Deckidentitäten haben. Ihr Chef Yassin schickt Liina in die Uckermark: Schakale sollen eine Frau angefallen haben, doch diese ist weder tot noch lebendig auffindbar. Dann erleidet Yassin einen Unfall und schwebt in Lebensgefahr; kurz darauf beordert KOS Liina ins Krankenhaus, weil ihr Herz Probleme macht. Hängt das alles womöglich zusammen?

Paradise City liest sich rasant, spannend und unterhaltsam – ein Pageturner. Der Krimiplot funktioniert perfekt. Beck zeichnet mit wenigen Strichen Charaktere, die besonders sind. Ihre Protagonistin Liina mit ihrer Mischung aus mentaler Taffheit und körperlicher Zerbrechlichkeit gefiel mir ausnehmend gut. Und neben der Krimihandlung bekommt man ganz nebenbei eine Menge Denkstoff geliefert.

In Zeiten von Corona, in der der Staat fürsorglich in das Leben seiner BürgerINNEN eingreift, staune ich über die Hellsichtigkeit von Zoë Becks neuem Roman. Der wurde zwar mitten in der Krise veröffentlicht, aber natürlich weit früher geschrieben. Pandemien, Überwachungs-Apps und Klimawandel: alles Themen unserer Gegenwart schon vor Corona. Zoë Beck, die, O-Ton, „dann aber einige Parallelen doch etwas unheimlich“ fand, hatte allerdings nicht die Corona-Warn-App im Sinn, als sie „KOS“ erfand, sondern eher die Gesundheits-Apps, über die die Krankenkassen nachdenken und die „gesundes“ Verhalten etwa durch Beitragsboni belohnen wollen. Aber was, wenn ein Mensch sich dafür entscheidet, potentiell selbstschädlich zu handeln? Fallschirmspringen? Rauchen? Sollte ihm das verboten sein oder gar bestraft werden? Und wenn ja, ist das dann noch Demokratie?

Schon heute werden über jeden von uns eine Unmenge Daten gesammelt. Schon heute gibt es viele Menschen, die von der Komplexität unserer Welt überfordert sind und Führung suchen. In China gibt es bereits eine Gesellschaft, die autoritär regiert wird und damit in der Mehrheit einverstanden ist. Persönliche Freiheit? Für viele kein Wert, eher eine Last.

„Paradise City“ denkt die Gegenwart weiter und fragt: Wollen wir da wirklich hin? Thriller mit Mehrwert - ich empfehle: Lesen!