Rezension

Henrietta und das Lebensbuch von Annie Doyle

Café Leben -

Café Leben
von Jo Leevers

Bewertet mit 5 Sternen

Das Café Leben gehört zur Rosendale-Krebsambulanz in London. Neben Tee, Kaffee und Küchlein, die von der immer gut gelaunten Mia serviert werden, wird im Rahmen des Projektes „Lebensbuch“ dort eine besondere Dienstleistung angeboten: Aus Erzählungen und Fotos wird ein Buch zusammengestellt, das den Angehörigen als Andenken Trost spenden soll.

Während ihrer ersten Sitzung als Mitarbeiterin des Projektes „Lebensbuch“ lernt die starre graue Maus Henrietta Lockwood die bunte und lebhafte Annie Doyle kennen, die in wenigen Wochen sterben wird. Diese erhofft sich von dem Austausch die Möglichkeit, vor ihrem Ableben mit sich selbst Frieden zu schließen. Die zurückhaltende Henrietta wird über ihren eigenen Schatten springen und Annie noch viel mehr schenken. Annie bleibt Henrietta nichts schuldig und belehrt sie eines Besseren über ihr bisheriges Leben.

Aus dem Austausch zwischen diesen zwei aufeinander prallenden Persönlichkeiten, die nicht unterschiedlicher sein könnten, entsteht eine herzergreifende Geschichte. Einige Ereignisse haben mich wortwörtlich zu Tränen gerührt: Es ist offensichtlich (und wird im Interview am Ende des Buches bestätigt), dass Jo Leevers eine wichtige Person in ihrem Leben verloren hat und die Trauer verarbeiten musste.

Zusätzlich zur Trauer beschäftigt sich die Autorin in ihrem ersten Roman mit weiteren schwierigen Themen, wie Verlust, Schuldgefühl, Verantwortung und Verpflichtung, und animiert ihre Hauptfiguren, aber auch den Leser, dazu, über das eigene Leben zu reflektieren. Man sollte das Leben nicht nur verbringen. Trotz Stolpersteinen auf dem Weg verdient das Leben, gelebt zu werden.

Der ungewöhnliche, manchmal geschäftsmäßig klingende Schreibstil der Autorin könnte für einige Leser gewöhnungsbedürftig sein. Jedoch passt er hervorragend zu Henrietta, die vor dreiundzwanzig Jahren, ähnlich wie die Annie der Vergangenheit, aufgehört hat, zu fühlen und zu lieben. Dennoch beweist Jo Leevers durch Einblicke in ihren Leben außerhalb der Ambulanz und in ihren Vergangenheiten, dass Henrietta und Annie vielleicht eigenartig sind, aber auch lebendig.

Das Cover mag ziemlich unscheinbar aussehen. Dennoch eignet es sich sehr gut für dieses Buch: Wie eine Neonbeleuchtung erinnert der Titel „Café Leben“ an die lebhafte Annie der Siebzigerjahre und bringt eine neue Henrietta ans Licht.

Neben der Geschichte hat mir das Projekt „Lebensbuch“ sehr gut gefallen. Es ist eine tolle Initiative, wenn man als Betroffener sie in Anspruch nehmen kann. Es lässt die Trauer der Angehörigen zwar nicht verschwinden. Aber, es fördert die Beschwichtigung durch die (positiven) Erinnerungen. 

Passend dazu, ein Zitat, das mir lange in Erinnerung bleiben wird: „Lebensgeschichten - denn jeder Mensch hat eine.“ Auch Jo Leevers Wörter am Ende des Buches und in ihrem Interview haben mich besonders gerührt. Sie ermutigen einen dazu, aktiv die Seiten seines persönlichen Lebensbuch zu füllen und seine eigene Lebensgeschichte zu schreiben, anstatt passiv das Leben zu beobachten. 

Fazit: Jo Leevers erster Roman: Ein herzergreifendes Wunderwerk aus Großbritannien… Hoffentlich wird es noch mehr davon geben!