Rezension

Herausragender Debütroman

Strom - Hannah Dübgen

Strom
von Hannah Dübgen

Bewertet mit 4 Sternen

Vier Menschen, aus vier Welten, über die Globalisierung vereint, aber jeder für sich doch allein. Was verbindet sie? Was suchen sie? Was unterscheidet sie? Was könnte ihnen helfen? Hannah Dübgen (*1977) findet in ihrem Debütroman Strom spannende Antworten auf diese Fragen.

Ada aus Deutschland dreht mit ihrer Freundin einen Dokumentarfilm im Gazastreifen, Amerikaner Jason soll in Tokyo einen Deal seiner Firma sicher über die Bühne bringen, Luiz aus Brasilien lebt mit seiner Familie in Israel, erträgt jedoch die politische Lage nicht mehr und möchte am liebsten nach New York ziehen. Schließlich die Japanerin Makiko, die, mittlerweile in Paris lebend, als Pianistin gefeiert wird, für ihren beruflichen Erfolg aber vieles opfert.

In multiperspektiver Erzählweise (Kapitel für Kapitel) erzählt Dübgen von Menschen, von Kosmopoliten, von Individuen und zeichnet dabei doch ein großes Ganzes, in dem wir uns alle irgendwo wiederfinden können.

MEINE MEINUNG
Mit Leichtigkeit springt die Autorin zwischen den verschiedenen Schauplätzen - Paris, Tokio, Berlin, Kalifornien, Israel - hin und her und wird doch jedem ihrer Handlungsstränge gerecht. Mit genauer Beobachtungsgabe und einem feinem Gefühl für Sprache porträtiert die Autorin vier Menschen, die sich weit entfernt von ihrer Heimat in einem neuen Leben eingerichtet haben, sich aber in persönlichen Krisensituationen befinden und deren Leben dadurch von der urtypischen Suche nach Nähe und Vertrautheit gekennzeichnet ist.

    Nah oder fern gibt es nicht mehr, nur noch nah oder fremd   (Vorwort)

Gerade durch die multiperspektivische Erzählweise wird dem Leser so schnell klar: vier Menschen - vier Welten, aber ihre Bedürfnisse sind doch ähnlicher, als man zunächst annimmt. Die Erzählweise erscheint damit als natürliche Wahl für den Stoff. Die Geschichte ist zwar offensichtlich konstruiert, wirkt aber niemals verkopft, künstlich oder unglaubwürdig.   

    Makiko dagegen hatte von Anfang an gerne gesprochen, Englisch und noch lieber Französisch. Sie mochte die feinen Nuancen, den rhythmischen Fluss der Sprache, und sie sah in der Tatsache, dass es ihr leichtfiel, die französische Satzmelodie zu übernehmen, ein Zeichen dafür, dass Paris die richtige Stadt für sie war, die Stadt, von der schon Frédéric Chopin gesagt hatte, es sei ein Paradies zum Verschwinden.    (Seite 16)

Die Kapitel über Makiko sind kleine Kunstwerke in sich, sie haben mich beim Lesen vorangetrieben. Jasons Kapitel bilden durch ihr wirtschaftliches Grundthema den Gegenpol, und waren für meinen Geschmack etwas zu trocken und etwas zu langatmig. Einen minimalen Abzug gibt es für das Ende, welches zwar funktioniert, aber aufgrund des Niveaus des Romans die Erwartungen nicht voll erfüllen kann.

Zu loben ist abschließend die beachtliche Rechercheleistung der Autorin: ob Nahost-Konflikt, musikalisches Fachwissen oder Wirtschaftsökonomie, Hannah Dübgen scheint dahingehend in jedem Gebiet eine Fachfrau zu sein.

FAZIT
Ein herausragende Erzählung, sprachlich brilliant und thematisch am 'Pol der Zeit'. Eine Geschichte über Menschen, über Lebensentwürfe, über die Dialektik von Nähe und Fremdsein. Ein Debüt, welches noch weitere Romane der Autorin erhoffen lässt.