Rezension

Herkunft als Abenteuer

HERKUNFT - Sasa Stanisic

HERKUNFT
von Sasa Stanisic

Bewertet mit 3.5 Sternen

Der neue Roman von Saša Stanišić ist eine sympathische Collage aus Geschichten um seine Geburtsstadt Višegrad, die Flucht seiner Eltern, das Ankommen in Deutschland und Heidelberg und immer wieder die Konfrontation mit den Fragen an seine Großmutter im Herkunftsland und den Altersgenossen im Ankunftsland.

Sein poetologisches Programm ist Erzählen, um zu erzählen: „Diese Geschichte beginnt mit dem Befeuern der Welt durch das Addieren von Geschichten.“ Das führt zu einer fast märchenhaften Fülle an Geschichten, die sich nicht nur übereinander stapeln, sondern auch verbreitern, denn „[o]hne Abschweifung wären meine Geschichten überhaupt nicht meine. Die Abschweifung ist Modus meines Schreibens.“ (S. 37) Stanišić stellt sich der Frage, was Herkunft sei, also, indem er um sie herumkreist und sich ihr mal nähert, mal von ihr entfernt. Das ist oft witzig, aber auch oft ermüdend. Die Gleichförmigkeit der aufeinandergestapelten Geschichten ermüdet, auch wenn sich der Blick durch die sich teilweise kongruent abdeckenden, teilweise überlappenden oder freilassenden „Geschichtenschichten“ lohnt, weil sich am Ende verdichtet: Herkunft ist die Summe der Geschichten, die von der eigenen Familie (und hier vor allem von den Großmüttern als Übermüttern schlechthin) weitergegeben werden - zum Teil als Sage, zum Teil als Erlebtes, zum Teil als „Abenteuer“. 

Dass Herkunft und Identität auch immer Abenteuer sind, erst recht wenn man aus einem Bürgerkrieg in die Fremde gezogen ist, ist dem Autor wichtig. So wichtig, dass er das Ende seiner Geschichtensammlung als Soloabenteuer im Stile der D&D- oder DSA-Abenteuerbücher gestaltet.

Manche der Geschichten wirken, als wären sie bereits für den mündlichen Vortrag konzipiert, und für mein Empfinden werden die auf das Poetry-Slam-Format zur Pointe gebürsteten Episoden dadurch geschwächt.

Unter dem Strich lispelt mir Hape Kerkeling mit Marcel Reich-Ranickis Stimme ins Ohr: „Ist das überhaupt ein Roman?“ Ich glaube nein. Aber es ist als Näherungswerk zur Herkunft ein sympathisches und lesbares Stück Literatur.