Rezension

Hervorragende literarische Fortsetzung des Films "Der Untergang"

Acht Tage im Mai - Volker Ullrich

Acht Tage im Mai
von Volker Ullrich

Bewertet mit 5 Sternen

REZENSION – Völlig zu Recht kam „Acht Tage im Mai“, das kürzlich im Verlag C. H. Beck erschienene Buch des Historikers Volker Ullrich (76) über „die letzte Woche des Dritten Reiches“, im Juni auf Platz 1 der Sachbuch-Bestenliste. Denn überaus interessant und fesselnd geschrieben, dabei trotz der schnellen Abfolge damaliger Ereignisse vom Leser leicht nachvollziehbar, schafft es der Autor, seinen Lesern einen umfassenden Einblick in die militärisch und politisch komplexen Geschehnisse nach Hitlers Selbstmord bis zur Kapitulation zu vermitteln.

Volker Ullrich schildert chronologisch Tag für Tag diese „zeitlose Zeit“, die Woche des für die Deutschen nur scheinbaren Stillstands in der „Lücke zwischen dem Nichtmehr und dem Nochnicht“, wie der Schriftsteller Erich Kästner zitiert wird. Wir lesen vom täglichen Vorrücken der sowjetischen Truppen vom Osten und der Alliierten vom Westen, von Massenvergewaltigungen und „Selbstmordepidemien“, von Todesmärschen und Vertreibungen, von befreiten Konzentrationslagern und ersten Absetzbewegungen höchster Nazi-Funktionäre. Und wir erfahren von ersten Anzeichen politischer Differenzen zwischen den Westalliierten und den Sowjets, die bald zum Kalten Krieg führten.

Aus unzähligen Quellen, auf die der Autor in einem 30-seitigen Anhang verweist, ergänzt um ein Literatur- und Personenregister, formt Volker Ullrich aus „historischen Miniaturen und Mosaiksteinen“, wie es der Klappentext verspricht, „ein Panorama dieser letzten Woche des Deutschen Reiches“. Ein fortwährender Wechsel der Perspektive – mal aus Sicht der heimatlos oder ausgebombten Deutschen, belegt durch Tagebuchnotizen bekannter (Anne Frank) und unbekannter Personen, mal aus Sicht der provisorischen Regierung unter Großadmiral Dönitz sowie abwechselnd aus der Perspektive der westalliierten sowie sowjetischen Kommandeure und Staatschefs – lässt beim Leser aus Puzzleteilen ein umfassendes Gesamtbild entstehen, ohne den roten Faden des historischen Zusammenhang zu verlieren.

Nicht nur historisch interessierte Leser, sondern auch Freunde der Literatur kommen bei Lektüre dieses Buches auf ihre Kosten, da Ullrich einige Bücher zeitgenössischer Autoren als Quellen nutzt. Natürlich gehören die Tagebücher von Viktor Klemperer oder Bertolt Brecht ebenso dazu wie die „Erinnerungen eines Davongekommenen“ (2007) von Ralph Giordano. Aber auch das Kriegstagebuch „Eine Frau in Berlin“, das mit Unterstützung des Schriftstellers Kurt W. Marek alias C. W. Ceram erst 1953 mit Verspätung veröffentlicht wurde, schildert die Schrecken des Kriegsausgangs. Sogar etwas Hollywood-Glamour fehlt nicht in Ullrichs Buch, wenn er die Suche des deutschen Hollywoodstars Marlene Dietrich nach ihrer Schwester in Bergen-Belsen schildert (dazu: Heinrich Thies, „Fesche Lola, brave Liesel. Marlene Dietrich und ihre verleugnete Schwester“, 2017).

Beim Lesen dieses Buches läuft das komplexe Endzeit-Geschehen der letzten Kriegswoche wie im Film in packend kurzer Szenenfolge vor dem geistigen Auge ab - ohne die bei historischen Werken oft langatmigen Ausschweifungen. Im Gegenteil: Volker Ullrich lässt seinen Lesern kaum Zeit zum Reflektieren. Gerade diese schnelle Szenenfolge ist es, die bei der Lektüre für anhaltende Spannung sorgt und das Buch „Acht Tage im Mai“ auch solchen Lesern empfehlenswert macht, denen das Genre historischer Sachbücher sonst eher nicht zusagt. Wer vom Film „Der Untergang“ (2004) über die letzten Tage Hitlers im Führerbunker fasziniert war, findet in Ullrichs Buch eine hervorragende literarische Fortsetzung.