Rezension

Hey Jude, don't back it bad

Ein wenig Leben - Hanya Yanagihara

Ein wenig Leben
von Hanya Yanagihara

Bewertet mit 5 Sternen

Es gibt da einen roten Faden in meinem Leben als Leserin, der sich nicht länger ignorieren lässt. Wenn die Temperaturen nach oben steigen, suche ich mir möglichst dicke Bücher aus, die nicht leicht zu konsumieren sind. Keine Ahnung warum das so ist. Ich markiere den Anfang dieser Auffälligkeit während meiner ersten Jahre an der Uni, als ich in einer der sommerlichen Semesterpausen mit Hans Castorp auf den Zauberberg gezogen bin und dachte, nie wieder dort herunter zu kommen. Ein wirklich einschneidendes Leseerlebnis. Was hat sich Thomas Mann nur dabei gedacht? Ich brauchte drei Jahre, um für die Buddenbrooks Mut zu sammeln, hab das Buch vorsichtshalber im Winter gelesen und wurde nicht enttäuscht. Einen wirklich tollen Lesesommer hatte ich hingegen mit Nino Haratischwili und Das achte Leben. Im letzten Jahr war daher die Freude groß, als Die Katze und der General herauskam. Ein klassisches Sommerbuch, dachte ich und hab es nach der Hälfte einfach nicht geschafft, weiterzulesen. Von Hanya Yanagihara habe ich mich von der im Klappentext beschworenen lebenslangen Freundschaft einfangen lassen. Außerdem war das Buch über Monate in aller Munde. Der Sommer stand vor der Tür, die Neugierde war groß und von allen Seiten kamen positive Besprechungen. Ich bereue es nicht. Es ist ein grandioser Roman. Ich habe noch nie soviel geweint, wie bei der Lektüre dieses Buches. Und ich hatte noch nie soviel körperliche Schmerzen, wie bei der Lektüre dieses Buches. Ein wenig Leben nimmt dir zuweilen wirklich die Luft zum Atmen. An manchen Tagen musste ich das Buch ganz weit weglegen, vom Lesen pausieren und war dann doch den ganzen Tag damit beschäftigt, über die Figuren und die Menschen im allgemeinen nachzudenken.

Die Geschichte ist so dicht und so schön, wie es nur in der Literatur sein kann. Niemand kann so gut und warmherzig wie Willem sein. Dagegen nehme ich JB seine Exzentrik sofort ab. Malcolm bleibt ein wenig hinter den anderen zurück, scheint etwas farbloser und findet schließlich auch seinen Weg. Natürlich sind alle erfolgreich in dem, was sie tun. Gefeierter Schauspieler, hochdotierter Künstler, mit Preisen überschütteter Architekt und unter ihnen dann Jude, eine komplizierte, hochempfindliche, geschundene Seele. Staranwalt. Eiskalt im Gerichtssaal, akribisch und arbeitswütig in der Kanzlei, unsicher und einsam zuhause, verstümmelt an Körper und Seele. Umsorgt von seinen drei besten Freunden aus Unizeiten.

Yanagiharas Roman ist eine Ode an die Freundschaft und ein Abgesang auf die Menschheit. Im Mittelpunkt des Romans steht Jude. Um ihn kreist die Geschichte. Auch wenn er es nicht wollen würde. Auf 950 Seiten offenbart uns die Autorin ganz langsam die Schrecknisse und Grausamkeiten, die Jude als Kind erleiden musste. Es sind die unvorstellbarsten Dinge. Ungeheuerlich und widerwärtig. Jude verschließt die Schrecken ganz tief in sich drinnen, bekämpft sie mit Sturheit, Disziplin und Rasierklingen. Jeder Klingenschnitt tut mir als Leser körperlich weh. Ich verstehe, warum es sein muss und kann es doch nicht nachvollziehen, wie Schmerz heilsam wirken soll. Während es in Judes Jugend darum ging, einfach nur zu überleben, und in seinen Zwanzigern zu vergessen, spitzt sich mit den Lebensjahren die Situation zu. Sein Körper lässt ihn mehr und mehr im Stich. Die Traumata kämpfen sich zurück an die Oberfläche. Die Freundschaft zwischen den vier Männern als Kleeblatt verändert sich, wird schwieriger, droht auseinander zu brechen. Willem und Jude sind ein verschworenes Zweiergespann, aber auch ihre Beziehung verändert sich und stellt sowohl Jude als auch Willem auf eine harte Probe.

Man ist als Leser bei allem so dicht und unmittelbar dabei, dass es manchmal nur schwer auszuhalten ist. In dem Umgang miteinander und in den wechselnden Perspektiven offenbart sich das ganze Unvermögen unseres Menschseins. Wir wissen einfach nicht, was der Gegenüber gerade denkt und empfindet. Wir können immer nur Interpretationen darüber anstellen, und diese sind so eingefärbt von unseren Wünschen, Erwartungen, Vorurteilen und dem Bild, das wir von uns selbst haben. Ein Wunder, dass wir dennoch irgendwie miteinander leben können. Die Tragödie um Jude ist zum einen das, was ihm in seiner Kindheit und Jugend widerfahren ist und zum anderen, sind es die Nachwirkungen dieser Erfahrungen, die sich in jede einzelne kleine Kleinigkeit seines Lebens erstrecken und nicht abschütteln lassen. Er kämpft um ein wenig Leben für sich und ist nicht in der Lage, die vielen wunderbaren Menschen um sich herum, in ihrer Liebe zu ihm wahrzunehmen und anzunehmen. Das treibt mir auch jetzt wieder die Tränen in die Augen.

Kommentare

Mara S. kommentierte am 10. September 2019 um 00:50

Schön, wenn man die Eigenmächtigkeit der Autokorrektur erst einen Tag später im Rezensionstitel bemerkt und nix mehr ändern kann. Natürlich sollte es heißen: Hey Jude, don't make it bad. 

Warum nochmal kann man nachträglich an seinen Beiträgen nichts mehr ändern?