Rezension

Highlight Frühling 2019

Und über mir das Meer - Mary Lynn Bracht

Und über mir das Meer
von Mary Lynn Bracht

Bewertet mit 5 Sternen

Worum es geht: 

"Beim Auftauchen musst du immer zum Ufer hinsehen,sonst verlierst du die Orientierung", sagte ihre Mutter und drehte Hana zum Land hin. Dort sass ihr jüngere Schwester im Sand und passte auf die Eimer mit dem frischen Fang auf. "Halte nach jedem Tauchgang nach deiner Schwester Ausschau. Vergiss das nie. Wenn du sie siehst, bist du in Sicherheit."

1943 Korea: Die japanischen Soldaten befinden sich überall in Korea. Hana wächst mit japanisch auf, immer in Angst vor den Fremden in ihrem Land. Als Haenyeo, Taucherinnen, sind ihre Mutte rund sie zumindest ausser Sichtfeld für die Gefahr, bis eines Tages ein Soldat an den Strand kommt. Um ihre kleine Schwester zu beschützen, geht sie mit ihm mit, und kommt nie wieder. 
2011 Seoul: Emi weiss, dass sie nicht mehr lange Leben wird, und je näher sie dem Ende kommt, desto öfter muss sie an ihre Schwester denken. Könnte es sein, dass Hana überlebt hat? 

Meine Meinung:

"Inspiriert von einer wahren Geschichte" steht der Rückseite. Da musste ich auflachen, denn gelitten haben sicherlich fast alle unter dem Krieg, und viele Familie können eine ähnliche Geschichte erzählen. Inspiriert von wahren Begegebenheiten hätte ich passender gefunden. Ja, die besten Geschichten schreibt immer noch das Leben. 
Keine andere Spezies weiss sich so zu foltern wie der Mensch. Nachdem ich "Ein einfaches Leben" von Min Jin Lee gelesen hatte, und mir die Umstände der Zainichi nähergebracht wurden, stolperte ich über diesen Titel. Ja, das Thema hatte mich am Haken. Doch nach Japan ging es in diesem Buch gar nicht. Gleich vorweg, Min Jin Lee hat es ihren Figuren fast einfach gemacht und sie während des 2. Weltkrieges einfach versteckt. 
Mary Lynn Bracht lässt den Leser lieber teilhaben, am Krieg, an der Angst, der Folter und den Qualen. Zugegeben hat mich das erschrocken, weil man auch gleich zu Beginn damit konfrontiert wird, und das liebliche Cover und der süsse Titel mich nicht darauf vorbereitet hatten. Klar, es wird gesagt die Schwester werden durch den Krieg getrennt, aber auf stetige Massenvergewaltigungen war ich nicht vorbereitet. Wahrscheinlich naiv von mir. 
Nach den expliziten Gewalttaten kommt dann das darüber nachdenken, das Trauma und der Versuch es irgendwie zu verarbeiten. Der Versuch sich abzukapseln von sich selbst, seinem Körper und den Frust bei der Erkenntnis, dass man dieser Erfahrung niemals entkommen wird. Sehr sehr hartes Buch, welches mich schockierte und das noch lange in mir nachklingen wird. Hanas Überlebungskampf wird einzig durch die Hoffnung geschürt ihre Familie eventuell einmal wiederzusehen. "Wenn du dich umbringst, kommst du sicher nie mehr heim" wurde ihr von einer anderen Prostituierten klar gemacht. 

Historisch gesehen war das Buch ein weiteres Highlight. Die Trostfrauen waren mir ein unbekannter Begriff, zwar wusste ich ein wenig über die südkoreanische Besatzung, aber wirklich damit auseinandergesetzt hatte ich mich nicht. Durch Brachts ehrliche und auf den Punkt kommende Sprache, hat man sich bei Lektüre richtig zurückversetzt gefühlt. Kein schönes Gefühl, aber Beweis ihres grossen Talents. Emi's Rückblenden an ihre Jugend helfen die fehlende Elemente des Krieges zu einem ganzen Puzzle zusammen zu setzen.

"Die Männer waren jung und zornig, aber Emi hatte keine Ahnung, warum sie es auf ihre Familie abgesehen hatten. Sie hatte keinen Bruder oder Onkel, der sich den linksgerichteten Rebellen angeschlossen hätte, niemanden, der den Zorn der Polizei auf ihre Familie hätte ziehen können. Sie waren lediglich Bürger, die in einem Land wohnten, das von zwei Mächten entzweigerissen wurde." 

Das Buch endet 2011, aber der Kampf um eine Entschuldigung von Seitens Japans ging immer noch weiter. Erst in 1993 hat Japan annerkannt, dass es die Trostfrauen, die Sexsklaven der japanischen Soldaten überhaupt gab. 2015 sprach Japan eine offizielle Entschuldigung aus und übergab rund 1 Billion Yen an einen Südkoreanischen Fond, der den Opfern zugute kommen sollte, mit der Aufforderung die " Statue of Peace", welche auch im Buch thematisiert wird, abbauen zu lassen. Die Statue eines sitzenden Mädchens, Bildnis der verschleppten Mädchen, die Trostfrauen werden mussten, wurde gegenüber der japanischen Botschaft aufgestellt. Südkorea hat sich geweigert den Forderungen nachzukommen.

Das Buch heisst in Englisch "White Chrysanthemum" welche das Sinnbild von Trauer in Korea sind. Sehr passend. 

"Dann öffnete sie ihre Tasche und nahm eine Blume heraus. Es war eine Chrysantheme, für Koreaner ein Symbol der Trauer. Das kaiserliche Siegel Japans war die gelbe Chrysantheme, ein Wapen, das die Macht der kaiserlichen Familie symbolisierte. Emi hatte sich gefragt, was zuerst da war, das Symbol der Macht oder das der Trauer."