Rezension

Hinter dem unschuldigen Cover...

Hinter der blauen Tür, 5 Audio-CDs - Marcin Szczygielski

Hinter der blauen Tür, 5 Audio-CDs
von Marcin Szczygielski

Bewertet mit 4.5 Sternen

Jetzt, wo es draußen richtig fies, nass und kalt ist, machen wir es uns nachmittags oft zuhause mit einem Hörbuch gemütlich. „Hinter der blauen Tür“ passte da perfekt - die Geschichte ist für Kinder und Erwachsene spannend und wird von Peter Shaw alias Jens Wawrczeck fantastisch gelesen. Wir hatten das Buch aufgrund des Covers allerdings völlig falsch eingeschätzt und mit einem verträumten Abenteuer gerechnet. Wie man sich irren kann! 
Es beginnt direkt mit einem Schock, bei dem uns kurz die Luft wegblieb. Im einen Moment begleitet man Lukasz und seine Mutter noch auf einer Autofahrt in den Urlaub, im nächsten Moment … rast der Wagen gegen einen Baum. Schwer verletzt kommen beide ins Krankenhaus und Lukasz' Leben ändert sich auf einen Schlag. Sein Bein macht Probleme. Die Mama liegt im Koma. Dann taucht eine Frau auf, die behauptet die Schwester seiner Mutter zu sein und die Lukasz mit ins "Hohe Kliff" nimmt, eine einsame Pension auf dem Lande, in der Lukasz eines Tages eine Tür zu einer anderen Welt entdeckt - die Silberwelt.

Lukasz’ Verzweiflung, nichts am Schicksal der Mutter ändern zu können, seine Wut darüber, in die blöde Pension zu müssen, seine Einsamkeit und seine körperlichen Schmerzen nach dem Unfall und schließlich der Besuch in der Silberwelt - das alles ist so echt beschrieben und akkustisch so gut umgesetzt, dass man meint, wirklich dabei zu sein. Während man anfangs glaubt, eine traurige Schicksalsgeschichte zu hören, kommt es ab der Mitte zu einem Bruch und es wird überraschend unheimlich. Immer wenn das Hörbuch bei uns lief, war es mucksmäuschenstill im Zimmer. Manchmal haben wir regelrecht den Atem angehalten.  

Action gibt es kaum. Der Erzählton ist eher ruhig und der Autor nimmt sich für alles viel Zeit. Das könnte langweilig sein, aber Marcin Szczygielski beschreibt nicht einfach, sondern zeigt die Dinge und macht sie dadurch lebendig, spannend und sehr aufregend für den Leser/Hörer. Was sich hinter der blauen Tür verbirgt, ist beunruhigend, weil man zunächst wenig versteht und nicht weiß, was passieren wird. Lukasz trifft hier seltsame Wesen und es kommt zu Veränderungen, die man sich auch gut in einem Gruselfilm vorstellen könnte. Beispiel? Ein einsames dunkles Zimmer. Eine Frau reglos im Halbschatten. Das Gesicht hinter einem Vorhang aus strähnigem Haar verborgen. Plötzlich ... ich schätze, ihr versteht, was ich meine. Marcin Szczygielski reizt solche Szenen gerne aus, was die Altersempfehlung ab 10 Jahren zumindest teilweise überdenkenswert macht.
 
Auf ein Genre lässt sich das Buch schwer festlegen - es ist zunächst ein Drama und geht dann durchaus anspruchsvoll in den Science-Fiction-, Mystery- und Fantasybereich hinein. Schwung bringen Floh, Biss und Mona in die Story, drei Kinder, die es anfangs auf Lukasz abgesehen haben. Vor allem der dicke Floh ist erstmal richtig fies. Damit spielen auch Themen wie Mobbing und Ausgrenzung, später Freundschaft und Zusammenhalt eine Rolle. Am Ende gibt es eine Überraschung, die für Erwachsene, die gerne ins Kino gehen, nicht ganz so überraschend ist. Kinder werden sicher verblüfft sein. Leider muss man mit einem halboffenen Ende leben. Vieles wird weder erklärt, noch aufgelöst. Das ist für die Geschichte zwar sehr passend, aber vermutlich nicht für alle befriedigend. Unserem 13-jährigen Sohn hat der Schluss dann auch nicht ganz so gut gefallen.

In Polen ist Autor Marcin Szczygielski übrigens sehr bekannt. „Hinter der blauen Tür“ wurde sogar verfilmt und ins Deutsche synchronisiert. Die FSK-Empfehlung liegt - ganz nebenbei - bei 12 Jahren.

Fazit: Eine ungewöhnliche und fantasievolle Geschichte, die sich ab der Mitte vom Drama zum SciFi-/Fantasy-/Mystery-Mix wandelt. Teilweise sehr unheimlich und mit einem nicht vollständig geschlossenen Ende, aber hervorragend erzählt und so spannend, dass wir manchmal kaum zu atmen wagten.