Rezension

Hinter dem Vorhang - Was und wer stecken hinter Alice?

Die Erfindung von Alice im Wunderland -

Die Erfindung von Alice im Wunderland
von Peter Hunt

Bewertet mit 4 Sternen

Merklich von einem Fachmann verfaßt. Großformatige Abbildungen ergänzen den informativen Text, der nicht alle Fragen abschließend klärt.

Wie wurde aus einer "Flussgeschichte" ein weltweit erfolgreiches Kinderbuch? Dieser Frage hat sich Peter Hunt angenommen, der die Alice-Bücher bestmöglich zu entschlüsseln versucht.

In sechs Kapiteln legt Hunt die verschiedenen Schichten von Ideen dar, die in die Entstehung der Alice-Bücher eingeflossen sind.

Charles Dodgson, Mathematikdozent aus Oxford, veröffentlichte 1865 unter dem Pseudonym Lewis Carroll das Kinderbuch "Alice's Adventures in Wonderland". Grundlage war eine handschriftliche Version ("Alice's Adventures Under Ground"), die der Autor für seine kindliche Freundin Alice Liddell anfertigte. Daher sind die Bücher mit privaten Scherzen und Anspielungen für die reale Alice und ihre Geschwister gefüllt. Darüber hinaus spielen die Umgebung von Oxford mit ihrem Universitätsbetrieb, die Politik und natürlich die private Welt von Dodgson eine wichtige Rolle.

Im ersten Kapitel wird der eigentlichen Entstehung auf den Zahn gefühlt. Hunt räumt mit dem Mythos auf, dass die Geschichte während einer einzigen Bootsfahrt auf der Themse nahe Oxford entstanden sein soll. Das zweite Kapitel umfasst die Kinderliteratur, die vor Dodgsons Veröffentlichung die Kinder mehr oder weniger unterhielt, waren es doch in der Hauptsache sogenannte "Schreckenswarnungen", die jeweils mit einer Moral daherkamen. Die nächsten drei Kapitel untersuchen die Einflüsse aus Charles Dodgsons Umgebung und schließlich, wie "Alice" den Siegeszug um die Welt antrat.

Hunt kommt zu einem offenen Ergebnis. "Alice" ist sowohl ein "autobiographisches Sammelsurium" ohne verborgene Geheimnisse oder Symbole und gleichzeitig ein Nonsenswerk mit derart vielen Symbole, dass sie kaum alle zu erkennen sind. Dies entspricht den beiden Forschungsrichtungen zum Werk.

Letztlich fand alles Aufnahme in dieses Kinderbuch, was Hunt zuvor in seinem vorliegenden Buch untersucht hat. Einiges bleibt jedoch Spekulation, wie er selbst zugibt. So kann letztlich jeder für sich entscheiden und interpretieren, was schlüssig erscheint. Aber das macht "Alice" ja auch spannend.

Das Buch besticht zunächst durch die großzügige und großflächige Bebilderung. Dies ist auch dem Illustrator der ersten Ausgabe, John Tenniel, geschuldet, der eine wichtige Rolle bei der Entstehung der Alice-Bücher inne hatte. Dass Hunt ein akademischer Spezialist auf dem Gebiet der Kinderbuchliteraturforschung ist, wird sehr deutlich. Der emeritierte Professor bewegt sich auf für ihn vertrautem Terrain und spricht eher das wohlinformierte Publikum als den durchschnittlichen Leser an. Womöglich wird das Buch in Großbritannien anders gelesen, wo die Hintergründe zur Entstehung und die zahlreichen Persönlichkeiten aus Oxford etc. bekannter sind. Hunt kann auf eine beachtliche Veröffentlichungliste zum Thema Kinderbuch zurückblicken. Wer sich für die Entstehung anderer Werke interessiert, wird fündig werden.

Ich kann das Buch allen empfehlen, die sich einen kurzen, anspruchsvollen Überblick über die Hintergründe machen wollen. Eine erschöpfende Abhandlung kann auf den 122 Seiten nicht dargelegt werden. Die Gestaltung des Bandes ist äußerst liebevoll: Kräftiges Papier, große Schrift und zahlreiche ganzseitige Abbildungen; neben den farbigen Illustrationen von Tenniel u.a. auch Fotografien der realen Alice, Oxforder Persönlichkeiten und wichtiger Orte. Ich vergebe vier Sterne.