Rezension

Hinter der Fassade...

Tagebuch meines Verschwindens - Camilla Grebe

Tagebuch meines Verschwindens
von Camilla Grebe

Bewertet mit 5 Sternen

Nach Band 1 „Wenn das Eis bricht“ konnte mich auch der Nachfolger überzeugen.

Der Handlungsort ist dieses Mal nicht das hauptstädtische Stockholm, sondern ein hinterwäldlerischer, vergessener Ort namens Omberg. Die wenigen verbliebenen Bewohner fühlen sich alleingelassen und benachteiligt, nachdem alle Unternehmen geschlossen wurden. Ausgerechnet hier in der trostlosen Einöde, wo vor Jahren das Skelett eines kleinen Mädchens gefunden wurde, liegt nun an der gleichen Stelle eine tote Frau.
Peter, der Kommissar aus der Hauptstadt ist spurlos verschwunden und seine Lebensgefährtin, die Profilerin Hanne erinnert sich an nichts. Steht der cold case mit den neuen Vorgängen in Verbindung? Schließlich kommt die erbarmungslose Wahrheit ans Licht. Das geschieht weniger durch die Ermittlungen der Soko mit der aus dem Örtchen stammenden jungen Polizistin Malin, sondern vielmehr durch das Tagebuch von Hanne, die an Demenz erkrankt ist, und dem Teenager Jake...

Die Handlung wird durch die beiden Protagonisten Malin und Jake getragen. Beide berichten abwechselnd aus der Ich-Perspektive. Dazu kommt Hanne gegen Ende des Buches in einigen Kapiteln zu Wort. Ich konnte es kaum erwarten die Sichtweise des jeweils Anderen weiterzulesen. Die Erzählstränge sind detailreich und vielschichtig. Camilla Grebe zieht den Leser unaufhaltsam in die Geschichte hinein. Sie schreibt packend, regelrecht elektrisierend mit viel Einfühlungsvermögen, vor allem von den Befindlichkeiten des sehr jungen Protagonisten Jake. Die Autorin läßt Malin ihr bisheriges Leben reflektieren. Das ergibt sich für die junge Polizistin zwangsmäßig, nachdem sie sich berufsbedingt mit den vertrauten Menschen in ihrem Heimatort beschäftigen muss.
Der Psychothriller befaßt sich intensiv mit den Bewohnern von Omberg und ihren Beziehungen untereinander in Gegenwart und Vergangenheit. Eine große Rolle spielt das Flüchtlingsheim mit seinen Insassen in dem kleinen Ort und gibt immer wieder Anlaß für gehässige Diskussionen, kleinere Reibereien und fiese Provokationen. Nach jahrelangem Schweigen kommen die grausamen Details der Verbrechen ans Licht und fügen sich puzzleartig zu unvorstellbaren Ereignissen, bis es eskaliert.
Geschickt behält Camilla Grebe die Handlungsfäden in der Hand, verwebt sie, legt verwirrende Spuren. Sie zeichnet Charaktere, die einen tiefen, realistischen Wahrheitsgehalt haben. Sie beschreibt sie plastisch, lebendig. Die Zusammenhänge werden am Ende klar und deutlich, wie schon im Vorgängerband.

Fazit:
Das Buch besticht durch die akkurate, intensive Zeichnung der authentischen Charaktere. In unaufgeregter, ruhiger Erzählweise mit einem wunderbaren Gefühl für die Sprache wurde ich durch das Geschehen geführt. Ein Geschehen, das Gesellschaftskritik enthält, von Trostlosigkeit, fehlenden Perspektiven, Resignation und geradezu gähnender Langeweile zeugt. Es ist eine Chronik der Schuld, des Vertuschens, Verschweigens, der Verdrängung und von Realitätsverlust auf Täterseite, aber auch die anderen Personen haben guten Grund sich mit den Themen auseinander zu setzen.
Ein handwerklich ausgefeilter Thriller! Allerdings nichts für Leser, die an ständigen Actions und grausamsten Details bei den Ermittlungsarbeiten interessiert sind.

Für mich ein bemerkenswertes Leseerlebnis. Dafür von mir fünf von fünf Sternen!