Rezension

historisch belegte starke Frauen in sehr eindringlichem Südstaatenroman

Die Erfindung der Flügel - Sue Monk Kidd

Die Erfindung der Flügel
von Sue Monk Kidd

Bewertet mit 5 Sternen

18. Jahrhundert, South Carolina/USA: Das Leben zweier Frauen, die äußerlich, von Stand und Hautfarbe unterschiedlicher nicht sein können, ist aufgrund des starken Freiheitsgedankens, der in ihnen wohnt, eng miteinander verwoben.

Sue Monk Kidd beschreibt das Leben einer adeligen, kinderreichen Plantagenbesitzerfamilie Grimké in South Carolina und das Leben ihrer Haussklaven, eindrucksvoll und lebensnah. Die Familie aus Charleston ist historisch belegt: Vater Anwalt, Mutter herrisch, studierte Söhne, ebenso strenge Töchter. Bis auf Sarah Grimké, die zusammen mit ihrer 12 Jahre jüngeren Schwester Angelina (genannt Nina) von einer anderen Welt träumt und für die Abschaffung der Sklaverei kämpft, ihr Leben der Freiheit und den Sklaven widmet. Die beiden Schwestern sind zu ihrer Zeit berühmt-berüchtigte Frauen in Amerika, da sie zahlreiche Artikel und Essays zu ihrem Anliegen veröffentlichen und auch Reden hierzu hielten. Ebenso gelten sie als starke Stützen der Suffragetten- und Gleichberechtigungsbewegung, die sich jedoch als Nebenprodukt des Abolitionismus ergeben zu haben scheint. Die Geschwister treffen im Laufe des Romans auf weitere reale, belegte Persönlichkeiten der Bewegung und der Religionsgemeinschaft der der Quäker, der sie beide beitreten.
Fiktiv sind, bis auf den Namen Hetty, die Sklaven der Familie Grimké angelegt. Belegt ist jedoch, wie viele Sklaven die Familie besaß, welche Dienste sie verrichteten und was sie nach damaligem Maßstab, betrüblicherweise betrachtet wie ein Möbelstück, an Geld wert waren.
Die Autorin lässt abwechselnd Sarah und Hetty/Handful ihre Erlebnisse zwischen 1803 und 1838 berichten; dies in sechs Teilen mit kleineren und größeren Zeitsprüngen dazwischen, unterstützt durch Briefe an handelnde Personen und zuletzt auch Briefe aneinander. Nicht selten sprechen die beiden Protagonistinnen die Lesenden auch direkt an, stellen ihnen rhetorische Fragen oder binden sie mit ins Geschehen aus. Das macht das Buch sehr lebendig. Ebenso wie die unterschiedliche Sprachfärbung von Sarah und Hetty/Handful, Hochsprache und Slang. Darauf muss man sich als Leser/in einlassen, denn es sorgt nicht dafür, durch das Buch hindurchgetragen zu werden. Es stellt sich zwar relativ schnell ein Lesefluss ein, doch windet er sich langsam. Was wiederum mit sich bringt, jedes Detail der wunderbaren Geschichte erfassen zu können.
Man erfährt, dass Sarah Grimké zu ihrem 11. Geburtstag die Tochter der Haussklavin Charlotte, einer begabten Näherin, mit dem Sklaven-Namen Hetty und dem Geburtsnamen Handful geschenkt bekommt. Das Mädchen ist gegen die Sklaverei, möchte das Geschenk nicht annehmen, jedoch wird sie dafür von der Mutter bestraft und arrangiert sich fortan damit, dass Handful ihr zu Diensten ist. Sarah, ein nicht gerade hübsches, blasses, rothaariges Mädchen mit Sommersprossen leidet an einer Sprachstörung, seit sie die Auspeitschung einer der Haussklavinnen mitbekommen hatte. Fortan kämpft sie gegen das Stottern, das sie ihr Leben lang begleitet. Nichts desto trotz debattiert die Kleine gerne mit dem Vater und den älteren Brüdern, liest viel, möchte Anwältin werden. Was sie einst als Unterstützung des Vaters und des Lieblings-Bruders empfand, wird später jedoch als Kinderei abgetan und ihr wird untersagt, als Frau einen Beruf auszuüben bzw. zu studieren. Auch mit der Freilassung ihrer Sklavin und allen Haussklaven hat das Mädchen keinen Erfolg, doch lässt sich der Drang nach Freiheit für die Sklaven und auch nach ihrer eigenen Freiheit schon in der jungen Sarah nicht ersticken. Hin und wieder wird Miss Grimké abgelenkt von ihren Vorhaben, wie z.B. durch die Einführung in die Gesellschaft, eine Verlobung, deren Lösung, den Bruch mit der anglikanischen Kirche. Doch andere Dinge wie die Patenschaft für ihre jüngere Schwester Nina, der erste Schwimmversuch im Meer, der Tod des Vaters, die wieder unglückliche Liebe zu einem verwitweten Quäker, der Entschluss das Familienanwesen zu verlassen und als ledige Frau in Philadelphia zu leben, das Beitreten zu den Quäkern, das Vorhaben Predigerin zu werden und sich mit Wort und Tat dem Abolitionismus anzuschließen lassen Sarah doch wieder ihren Wunsch nach Freiheit, der eigenen und der für Sklaven, sowie ihrer Leidenschaft einen Beruf ausüben zu wollen, folgen.
Handful, deren Mutter als sie mit ihr schwanger war von der Plantagensklavin zur Haussklavin wurde, muss sich als 10-Jährige damit abfinden, nun der kleinen Miss Grimké zu Diensten zu sein. Doch sie merkt, dass Sarah andere Ideen hat, die jedoch anecken und für die beide bestraft werden. Mitfühlend aber auch mitleidig, so wie Sarah Handful von Zeit zu Zeit ob ihrer Situation begegnet, behandelt Handful ihre Miss allerdings auch, denn Handful bemerkt, dass es Sarah ebenfalls nicht leicht hat, zwar reich und privilegiert zu sein aber als Frau nicht wirklich frei und selbstbestimmt leben zu können. Die beiden Mädchen sind auf interessante Weise miteinander verbunden, einmal teilen sie sogar ihre Geheimnisse – die sie noch Jahrzehnte später hüten. Eine liebevolle Freundschaft, die immer wieder Risse erhält jedoch auch Gräben überwinden kann, entsteht, während jede jedoch auch ihr eigenes Leben ohne die andere führt und in der Welt klar kommen muss. So hängt Handful sehr an ihrer Mutter, lässt sich Geschichten von den Großeltern erzählen, von dem Wunsch der Mutter nach Freiheit, bewundert die Kunstfertigkeit von Charlotte beim Nähen eines Quilts, der ihre Lebensgeschichte und die freien Flügel der afrikanischen Schwarzdrosseln beschreibt, wird schließlich von ihr im Nähen unterrichtet und entwickelt ihre ganz eigene Begabung darin. Als Sarah das elterliche Haus verlässt und die Mutter eines Tages verschwindet, als sie wieder schwanger ist, schließt sich Handful der Untergrundbewegung in Vorbereitung eines Sklavenaufstands um den Vater ihres Geschwisterchens an, gerät mehrmals in Gefahr, wird schwer verletzt und immer wieder hart bestraft. Schließlich beschließt auch Handful, vom Grimké-Anwesen zu fliehen. Nun ist es an Sarah, der inzwischen aufgrund ihrer Reden und Artikel geächteten Tochter der Stadt Charleston, das Versprechen, dass ihr Handfuls Mutter einst als junges Mädchen eindringlich abgenommen hatte, Handful zur Freiheit zu verhelfen.