Rezension

Historisch interessant, jedoch wenig emotionale Tiefe

Die Charité - Ulrike Schweikert

Die Charité
von Ulrike Schweikert

Bewertet mit 3 Sternen

Da ich kürzlich das Glück hatte, den Folgeband (– "Die Charité. Aufbruch und Entscheidung" -) lesen zu dürfen, dessen Handlungszeitraum sich über die Jahre von 1903 bis 1938 erstreckt, stand für mich schnell fest, dass ich auch das erste Werk dieser interessanten Buchreihe nachträglich lesen und mehr über die Anfänge der Charité erfahren wollte.

Wie im zweiten Teil (- in dem die Mediziner Syphilis-Fälle erforschen und versuchen, die Erreger der sogenannten 'Franzosenkrankheit' festzustellen -) spielt auch im Auftakt der Krankenhausreihe eine schwerwiegende Krankheit und deren Bekämpfung eine bedeutende Rolle: die Cholera, die in Form einer grauenvollen Epidemie über das Land hereinbricht und 1831 schließlich Berlin erreicht. Gekonnt lässt die Autorin Fiktion und Realität verschmelzen, bedient sich tatsächlicher geschichtlicher Ereignisse und Personen, wie dem angesehenen Professor Dieffenbach.

Die aus ärmlichen Verhältnissen stammende Schwester Elisabeth hat ein großes Herz und geht in der Pflege von Patienten auf, die sie liebevoll umsorgt. Als sie sich in einen jungen Arzt verliebt, muss sie eine schwere Entscheidung treffen. Für Frauen war zur damaligen Zeit in Deutschland die Ausbildung zur Ärztin ferne Zukunftsmusik – dieser Beruf war ausschließlich Männersache. Dennoch gab es einige ähnliche Tätigkeitsfelder, in denen Frauen sich weiterbilden 'durften'. Einem Wunschberuf nachgehen zu können galt als Luxus, die meisten Frauen kämpften schlichtweg ums Überleben. Aber auch Reichtum ist kein Garant für (Liebes-/Lebens-)Glück, wie die finanziell sorgenfreie Gräfin Ludovica von Bredow nur zu gut weiß.

Weder Elisabeths Freundschaft zur Hebamme Martha (einer alleinerziehenden Mutter, die sich allerdings anstatt mit der Ankunft von neuem Leben mit dem Gegenteil befassen muss und ausgerechnet als Totenfrau in der Charité arbeitet), noch die Zuneigung der dritten weiblichen Protagonistin (der in einer unbefriedigenden Ehe gefangenen Gräfin) zu Prof. Dieffenbach hat mich emotional erreichen können. Ich hatte gehofft, dass entgegen dem Folgeband – den ich unterbewusst automatisch zum Vergleich hinzugezogen hatte – zumindest zu Beginn der Reihe mehr Wert auf die Ausarbeitung der Figuren gelegt worden wäre und weniger auf die allgemeinen Hintergrundinformationen. Doch die Charaktere bleiben (höchstens mit Ausnahme von Dieffenbach) ziemlich blass und unscheinbar, was insbesondere deshalb tragisch ist, weil die gesellschaftliche Rolle der Frau durch die Figuren zwar beleuchtet wird, diese mir aber eher wie unpersönliche Stellvertreterinnen der Masse erschienen und ich keinen Bezug zu ihnen fand. Wirklich mitfühlen und mitfiebern konnte ich mit keinem der Charaktere.

Während der Lektüre erhält man dank der lobenswert intensiven und schlichtweg ob seiner Fülle beeindruckenden Recherchearbeit einen derart intensiven Einblick in den damaligen Wissenstand der Medizin, dass dieser Roman es mit jedem Geschichtsbuch aufnehmen könnte. Hinsichtlich der Themenschwerpunkte wäre für mich weniger mehr gewesen, vieles erschien mir zu schnell abgehandelt, was dadurch an Bedeutung und Nachhall eingebüßt hat. Umso detaillierter hingegen wirkten die Beschreibungen der medizinischen Eingriffe und Behandlungen. Im Großen und Ganzen ist der Schreibstil schlicht, klar und nüchtern; etwas Emotionalität ist in den Tagebucheinträgen der Gräfin zu finden.

Fazit: Historisch interessant und sicherlich ein Muss für Fans von Medizingeschichte. Auf große Gefühle oder außergewöhnliche Charaktere hofft man jedoch vergeblich.