Rezension

Historisch, kraftvoll, emotional!

Marlenes Geheimnis - Brigitte Riebe

Marlenes Geheimnis
von Brigitte Riebe

Bewertet mit 5 Sternen

Brigitte Riebe hat es geschafft, den Finger auf einen Wunden Punkt der Geschichte zu legen und diesen in einen atmosphärisch dichten Roman voller Gefühle und Geheimnisse zu packen. 

Wir befinden uns, historisch gesehen, im Jahre 1938 in der Stadt Reichenberg, die heute Liberec heißt und in Nordböhmen, im Norden Tschechiens liegt. Der Großteil der damaligen Bevölkerung Reichenbergs waren Deutsche oder deutschsprachige Menschen, die, nebst der ungarischen Bevölkerung, nach dem Krieg 1945 enteignet und nach Deutschland vertrieben wurden. Sie mussten ihre tschechische Heimat verlassen und wurden gezwungen, in der Fremde, irgendwo in Deutschland, ein neues Leben anzufangen. 

In diesem Zeitraum lernen wir die junge Eva kennen, die mit ihrem Tode die Frauen ihrer Familie gezwungen zusammenbringt: Marlene, Vicky und Christiane (Nane); aus Nanes Sicht Tante, Mutter und Nichte.

Eva, ein hitziges, gut betuchtes und lebenslustiges junges Mädchen, das nicht unbedingt, schulisch gesehen, das allerklügste war, aber das Herz am richtigen Flecken hatte. Gesegnet mit einem liebevollen Apotheker-Vater und einer ungarischen Sängerin-Mutter, müssen sie, zum großen Leid der Mutter Julika, von Prag nach Reichenberg übersiedeln. Der Kriegsausbruch zerstört Evas Traum von einem Leben mit ihrer tschechischen Jugendliebe Jan und zwingt sie, ihr neues Heim erneut zu verlassen und in eine ungewisse Zukunft nach Deutschland zu gehen.

All dies hat Eva in einem Brief an ihre Enkelin Nane festgehalten, den sie nach Evas Tod von Marlene erhält und damit ganz tief in ihre familiäre Vergangenheit reist und einige gut gehütete Geheimnisse aufdeckt. 

An vielen Stellen war es sehr schmerzlich zu erfahren, welches Leid viele Menschen ertragen mussten und was alles ihnen genommen wurde. Geschickt verwebt die Autorin in ihren Roman reale geschichtliche Personen und Vorkomnisse mit ihren erfundenen Protagonistinnen und Nebencharakteren. Flüssig und gespannt verfolgt man das Leben von Eva, Marlene und auch das ihrer sehr viel jüngeren Schwester Vicky. Denkt man, man sei auf dem richtigen Weg und hätte eine Ahnung was passieren würde, wird man von Brigitte Riebe überrascht, die manch eine unerwartete Wendung eingebaut hat, die die Freude am Buch noch größer werden lies.

"Die Zerstörung der Stadt lastete wie ein Bleigewicht auf allen. Schon lange war der Tod nicht mehr etwas, das nur Soldaten anging oder den unzähligen Deportierten bevorstand. Er konnte einfach vom Himmel fallen, jeden Tag, jede Nacht, jede Stunde - und alle vernichten." (Seite 144)

Im Handlungsstrang der Gegenwart spielt Nane die Hauptrolle. Ihr bisheriges Leben ist sehr aus den Fugen geraten und das bekommt sie auch gesundheitlich zu spüren. War ihre Kindheit bei ihren Großeltern am Bodensee voller Liebe und Energie, fehlt ihr dies nun zunehmend. Kann sie durch die Rückkehr an den Ort ihrer Kindheit, trotz des traurigen Anlasses, genug Ruhe finden, um sich zu sammeln und neu zu orientieren oder wird der Zwist ihrer Tante mit ihrer Mutter sie noch mehr belasten?

Was wäre ein Familien-Geheimnis-Roman mit starken und interessanten Frauencharakteren ohne eine Aussicht auf Liebe? Ohne Kitsch und Schnulze gibt die Geschichte das Leben wieder, sei es vergangenes oder zukünftiges. Denn neben starken Frauen findet man als Leser auch sehr interessante, sympathische und vielfältige männliche Charaktere, die dieses Buch wunderbar abrunden!

Gerne bin ich mit Nane auf Entdeckungsreise gegangen, habe vieles über die Vertreibung von Deutschen aus der damaligen Tschechoslowakei gelernt und damit einen Anstoß für eine umfangreichere eigene Recherche bekommen. Ich habe mit Brigitte Riebes Figuren gelitten und mich gefreut und wurde ganz am Ende auch noch überrascht!

Und wieder einmal bringt Brigitte Riebe mit ihren Worten auf den Punkt, das auch heute viele in der schweren und vom Weltgeschehen gebäutelten Welt oftmals vergessen:

"Sie waren nicht länger Herr Schulz und Frau Maier, sie waren nur noch Flüchtlinge - ein Stempel, der ihnen wie ein Brandmal anhaftete und den sie so schnell nicht mehr loswürden. Das wurde jedem hier klar." (Seite 342) 

Fazit:
Dieser Roman zeigte mir mal wieder, dass ich mich auf die Autorin verlassen kann. Wo "Brigitte Riebe" draufsteht, ist "Brigitte Riebe" drin. Liebhaber von Familiengeschichten, historischen Begebenheiten und die gerne lang gehütete Geheimnise entdecken wollen, müssen bei diesem Roman unbedingt zugreifen!