Rezension

Historischer Krimi aus dem von den USA besetzten Island

Graue Nächte - Arnaldur Indriðason

Graue Nächte
von Arnaldur Indriðason

Bewertet mit 3.5 Sternen

1943 ermittelt im besetzten Island im Fall eines Kapitalverbrechens ein Team aus dem einheimischen Polizisten Flóvent und dem US-Militärpolizisten Thorson, der als Kind isländischer Auswanderer noch fließend Isländisch spricht. Ein Toter in Uniform wurde am Strand angespült; parallel dazu verschwindet eine Frau, die zuvor mit amerikanischen Soldaten gesehen wurde. Die Untersuchung des Toten vom Strand wirft mehr Fragen auf als sie beantwortet, so dass das Ermittler-Tandem nach einer verdächtigen Person mit besonderen Kenntnissen fahndet.

Während der Besatzungszeit hat sich in Island neben zahlreichen legalen Arbeitsplätzen bei der US-Armee erfolgreich ein Schattengewerbe entwickelt aus Bars, Prostitution und Schwarzhandel mit amerikanischen Produkten. Wer in dieser Szene Geschäfte macht, klärt seine Konflikte am liebsten unter vier Augen und will möglichst nichts mit der Polizei zu tun haben. Die Ermittlungen wirbeln in dieser Szene einigen Staub auf, zumal es nicht allein um Prostitution von Frauen geht.

Flóvent, der junge isländische Teampartner, tritt Zeugen und Angehörigen gegenüber rücksichtsvoll auf und erfährt auf diese Weise wieder einmal Erstaunliches. In einem weiteren, zeitlich versetzten Handlungsfaden erfährt man als Leser von einer Gruppe isländischer Studenten, die sich in Kopenhagen im Widerstand gegen die Nationalsozialisten engagieren (Dänemark war 1940-43 von den Deutschen besetzt). Bei der vermutlich letzten Gelegenheit werden mit der Fahrt der „Esja“ isländische Bürger aus mehreren besetzten skandinavischen Ländern evakuiert. Einer der Studenten wird seitdem vermisst und seine Gefährten vermuten, er könnte denunziert worden sein. Flóvent und Thorson ahnen vom möglichen Zusammenhang zwischen seinem Verschwinden und ihrem Fall noch nichts.

Die Ermittler stehen in ihrem zweiten Fall einer unübersichtlichen Ermittlungssituation in der Halbwelt illegaler Geschäfte gegenüber. Zeitweilig war mir nicht völlig klar, wie viele Personen auf beiden Zeitebenen genau vermisst werden. Der komplexe Fall wird u.a. durch Rückblenden in die Vorgeschichte der Beteiligten gelöst, weniger durch gradlinige Ermittlungsarbeit.

In seinem sozialkritischen historischen Krimi zeigt Indridason ein Land im Schatten von Militärbaracken, das die Besetzung durch fremde Armeen allmählich satt hat. Durch mehrere Handlungsfäden gerät der Kriminalfall sehr komplex, die Fülle an Ereignissen verläuft jedoch zu Lasten der Figurenzeichnung. Ein Schauplatz wie auf alten Schwarz-Weiß-Fotos sorgt für eine düstere Atmosphäre, der Kriminalfall wirkt dabei eher wie die Rahmenhandlung.