Rezension

Diese Rezension enthält Spoiler. Klicken, um alle Spoiler auf dieser Seite lesbar zu schalten.

Hochinteressanter, historischer Roman! Die Geschichte um eine außergewöhnliche Frau.

Das Novembermädchen - Katrin Tempel

Das Novembermädchen
von Katrin Tempel

Bewertet mit 5 Sternen

Breslau, im Jahr 1846. Dort lebt die angesehene Kaufmannsfamilie Bauer mit ihren Kindern. Durch ein einschneidendes Erlebnis wird die Tochter  Lina auf die sozialen Unterschiede aufmerksam: Ein kleines Mädchen, welches im Sand schreiben übt. Am gleichen Tag lernt sie Theodor Morgenstern kennen, der als Gasta zum Abendessen weilt. Die beiden kommen sich näher, distanziert, aber dennoch auf eine sehr berührende Weise. Und gegen alle familiären Widerstände heiraten sie 1854. Erst als Linas Schwest Clara starb, brach der Widerstand und der Vater gab die Einwilligung. Schon vor Jahren, mit 18 Jahren, hatte Lina ihr soziales Engagement gezeigt und einen Pfennigverein gegründet. Dieser war dafür da, dass mittellose Kinder Stifte und Papier erhielten, um Schreiben zu lernen.

Theodor und Lina ziehen nach Berlin. Es trifft die junge Mutter, all das Elend, den Hunger in der Stadt zu sehen. Die Idee zur Berliner Volksküche wird geboren. Auf welche Widerstände Lina trifft, zum einen als Frau, zum anderen war sie ja Jüdin, das hat die Autorin sehr beeindruckend, vorstellbar geschrieben. Es sind nicht nur die glaubhaft und gut gezeichneten Protagonisten, die den Roman diese eindrucksvolle Atmosphäre geben. Die Autorin hat jede der Charaktere so detailliert und sympathisch beschrieben, dass der Leser sich jeweils in die Person hineinversetzen kann. All die Beschreibungen der einzelnen Handlungsorte konten mich einfangen. Katrin Tempel schafft es, die damalige Zeit sehr, sehr authentisch vor Augen zu führen. Ein historisch fundamentierter Roman, fesselnd, man kann das Buch wirklich kaum aus der Hand legen.
Besonders erschütternd die damaligen Umstände zur Zeit des Krieges um 1870. Was mussten die Soldaten erleiden und wie ist man mit ihnen umgegangen. Einfach erschütternd! Für uns kaum noch vorstellbar. Und dennoch erschreckend, dass selbst vor weit mehr als über 150 Jahren die Aversion gegen Juden, der Antisemitismus herrschte. Schlimm.
"Das Novembermädchen", die Geschichte der Lina Morgenstern und der Berliner Volksküchen, schon zur damaligen Zeit gab es die emanzipierten Frauen, zu denen sie gehörte. Und die einen Mann an ihrer Seite hatte, auf den sie sich verlassen konnte, der ihr den Rücken frei hielt. Nicht immer ganz einfach, zum einen mit fünf Kindern und als Mann zurückzustehen. Aber es gab halt auch andere Männer. Frauen, die Lina zur Seite standen, wurden von diesen zurückgerufen.

Zitat S. 193
… "Er ist mein Mann, er darf darüber bestimmen, was ich tue. Und wo. Und wenn er mir verbietet, eine bestimmte Tätigkeit auszuüben, so ist das sein gutes Recht."
"Da bin ich sofort versucht, mich einer dieser Bewegungen für die Gleichberechtigung der Frauen anzuschließen", sagte Lina.

Was soll ich noch mehr zu diesem großartigen Roman schreiben? Vielleicht etwas persönliches. Meine Mutter, gebürtige Berlinerin, die den Zweiten Weltkrieg als junges Mädchen miterlebt hat, mit ihr habe ich mich über dieses Buch unterhalten. Daraufhin hat sie es sich gekauft und dann erzählt, dass der Bruder ihres Vaters vor den Toren Berlin Viehhaltung hatte und die Berliner Volksküche beliefert hat.
"Das Novembermädchen" kann ich nur empfehlen. Es ist ein beeindruckender historischer  Roman, das man nicht so schnell aus der Hand legt. Eben ein besonderes Buch, der mich vor allem durch die gelungenen Beschreibungen der damaligen Lebensumstände überzeugen konnte. Diese Geschichte entlässt einen nicht so einfach, auch wenn man schon das letzte Wort gelesen hat.