Rezension

Hollowland

Bell und Harry
von Jane Gardam

Bewertet mit 4 Sternen

Bell Teesdale ist acht Jahre alt und lebt in einem kleinen Dorf in North Yorkshire, im „Hollow Land“, dem hohlen Land, wie es genannt wird, weil es unzählige alte Bergwerksstollen unterirdisch durchpflügen. Bells Vater hat eine Farm, die noch gut läuft, aber er hat auch schon die Zeichen der neuen Zeit erkannt und vermietet eines der Farmhäuser an eine Familie aus London, die dort ihre Sommerferien verbringen möchte. 
Immer mehr dieser „Städter“ kommen von weit her, um dem Lärm und der Hektik in der Großstadt zu entkommen. Es zieht sie mittlerweile nicht nur in die klassische Ferienregion des Lake Districts, sondern eben auch ins Hollow Land, das etwas östlich davon liegt. Es wird nirgends explizit erwähnt, aber es müssen die Fünfziger oder Sechziger Jahre sein, in denen der kleine Bell zum ersten Mal auf den etwas jüngeren Harry Bateman trifft, der mit seinen Eltern und dem älteren Bruder nebst einer Reihe von Freunden nun für viele Jahre Feriengast der Teesdales sein wird. Beinahe sieht es zunächst so aus, als ob es bei diesem einen Mal bleiben würde, steht doch ausgerechnet zum Beginn der Ferien die Heuernte an, eine recht lautstarke Angelegenheit, die im Angesicht drohenden Regens Tag und Nacht durchgezogen werden muss. Nichts für die strapazierten Großstadtnerven des schreibenden Journalistenvaters.
Doch die Wogen können geglättet werden und wir werden in insgesamt neun lose miteinander verknüpften Geschichten die Teesdales und ihre Sommergäste bis ins Jahr 1990 begleiten. Besonders die beiden Jungen werden dicke Freunde und machen zusammen die Gegend unsicher. Für Harry ist die Gegend mit ihren Hochmooren und Bergen und der ländlichen Szenerie das Paradies. 
Da gibt es den Großvater, der unzählige Geschichten zu erzählen weiß, den Schornsteinfeger Kendal, die „Eier-Hexe“, das fahrende Volk und Jimmie Meccer, der Tag für Tag in seinem Schuppen an der Dorfstraße sitzt. Und da ist die raue Landschaft, die Jane Gardam in fast impressionistischen Bildern beschreibt, die Tiere, die Weiden, der weite Himmel. Trotz allem wird hier von keinem Idyll erzählt. Das Leben auf dem Land ist auch hart und anstrengend, und Konflikte zwischen Dorfmenschen und Städtern bleiben nicht aus.
Die Autorin schlägt einen außerordentlich freundlichen Ton an, leicht, aber nie süßlich und mit dem für Gardam typischen subtilen britischen Humor. Auch wenn er hier nicht ganz so funkelt wie bei der Old-Filth-Trilogie, mit der die 1928 geborene Jane Gardam spät, aber zum Glück nicht zu spät auch hier bei uns bekannt geworden ist.
Die neun Geschichten sind chronologisch angeordnet, aber nur lose miteinander verbunden. In der ersten erzählt Bell selbst von seiner Begegnung mit Harry. Bis auf die letzte, sind danach alle in der personalen Perspektive erzählt. Sie erzählen in unregelmäßigen Zeitsprüngen von einem Angelausflug im strömenden Regen, einer beinahe schief gegangenen Expedition in einen unterirdischen Stollen und einem Fahrrad-Eis-Ausflug, von der Eier-Hexe und ihrer alten Mutter und wie Jimmy Meccer auf dem Pferdemarkt in Appleby unerwartet reich wurde. Am Ende sind die Jungen im Teenageralter, bevor die letzte Geschichte einen großen Sprung in die Zukunft macht. 
1990 (das Buch erschien erstmals 1981) ist nichts mehr so, wie es einst war. Eine Ölkrise, Kriegsangst, Immobilienspekulanten – aber die Teesdales und Batemans sind sich noch verbunden.
So herrlich leicht und wunderbar mir die ersten acht Geschichten gefallen haben, so unpassend und fast ein wenig peinlich empfand ich diese letzte. Und das nicht nur, weil die Zukunftsvisionen der Jane Gardam sich als unzutreffend erwiesen haben. Der Ton wechselt, irgendwie stimmt er für mich nicht mehr. 
Insgesamt stört das den positiven Gesamteindruck des Buches aber nur wenig. Eine leise, heitere, aber nicht seichte Geschichte, die sicher auch gut als Jugendbuch funktioniert. In der Sparte Kinderbuch hat Jane Gardam dafür auch einst den renommierten Whitbread Award erhalten. Schön, dass sie jetzt auch für uns deutsche Leser*innen zur Verfügung steht.