Rezension

Holpriger Start, aber die Story wusste mich dann doch zu überzeugen

36 Fragen an dich - Vicki Grant

36 Fragen an dich
von Vicki Grant

Bewertet mit 4 Sternen

Inhalt
"Wärst du gern berühmt? Und wenn ja wie?" "Was ist deine größte Leistung im Leben?" - Das sind einige der Fragen, die sich Paul und Hildy im Zuge eines Experiments gegenseitig stellen müssen. Können diese 36 Fragen dafür sorgen, dass sich zwei fremde Menschen ineinander verlieben? Weder Paul noch Hildy glauben daran. Paul macht nur mit, weil er an dem Geld interessiert ist. Wenn das nicht wäre, hätte er schon nach den ersten Minuten das Experiment abgebrochen. Denn Hildy ist eine nervtötende Spaßbremse, davon ist er überzeugt. Dass es schließlich Hildy ist, die ihn attackiert und aus dem Zimmer stürmt, hätte er niemals gedacht. Aber so leicht gibt Paul nicht auf, um an seine Vergütung zu kommen...

Meinung
Der Inhalt von Vicki Grants hat mich sofort angesprochen, da ich es prinzipiell spannend finde, wenn Protagonisten Versuchskaninchen in Sozialstudien oder Ähnlichem sind. Meine Euphorie hat jedoch gleich nach den ersten Seiten einen großen Dämpfer bekommen. Es hat mich über ein Drittel des Buches gekostet, ehe ich einen Zugang zu den Figuren gefunden bzw. sie nicht mehr gänzlich unsympathisch waren. Tatsächlich war die einzige Person, die ich anfangs mochte, Jeff, der Versuchsleiter, und der war leider nur im ersten Kapitel präsent. Paul und Hildy dagegen waren eine echte Herausforderung - sowohl füreinander als auch für mich. Paul erschien mir zu Beginn sehr passiv-aggressiv und großkotzig, Hildy dagegen war etwas steif und gleichzeitig total überdreht, was irgendwie nicht wirklich zusammenpassen wollte. Mehr als ein Stirnrunzeln und eine krausgezogene Nase hatte ich nicht für sie übrig. Ich war also ein bisschen frustriert, habe aber dennoch weitergelesen. Mein Durchhaltevermögen hat sich Gott sei Dank auch ausgezahlt. Die beiden werden zunehmend lockerer in ihrem Umgang miteinander, dadurch auch witziger und ehrlicher. Man merkt richtig, wie sie sich immer wohler mit dem anderen fühlen, und ebenso wie sie ein besseres Verständnis für den anderen entwickelten, habe ich sie auch besser verstehen gelernt. Letztlich habe ich beide in mein Herz geschlossen. 

Ich bin allerdings trotzdem der Meinung, dass sie es sich selbst schwerer als nötig gemacht haben, weil sie bei gewissen Themen immer um den heißen Brei herumgeredet haben. Einerseits war es erfrischend, dass nicht gleich eine magische Verbindung zwischen den beiden bestanden hat, sondern sie die Distanz gewahrt haben - schließlich sind sie einander fremd. Andererseits hätte es bedeutend weniger Kommunikationsschwierigkeiten gegeben, wenn sie gleich reinen Tisch gemacht hätten. Das war auf längere Sicht etwas anstrengend, aber eben auch interessefördernd, weil man wissen wollte, was sie einem verschweigen.

Die titelgebenden 36 Fragen waren an sich interessant und vor allem knifflig. Man kommt automatisch ins Grübeln, wie man selbst die Fragen beantworten würde. Ich würde es sogar mal auf ein Experiment ankommen lassen und das selbst ausprobieren. Das Tolle daran ist, dass Hildy und Paul (aka Betty und Bob) entsprechend wenig Small Talk betreiben, was mir meistens sehr gut gefiel.

Die Geschichte wird überwiegend in einer Dialogstruktur ähnlich eines Drehbuchs wiedergegeben. Dadurch, dass mehr wörtliche Rede bzw. Chat-Nachrichten verwendet werden, lässt sich der Roman auch ausgesprochen flott lesen. Die Formulierungen empfand ich meistens als sehr natürlich, sodass ich das Gefühl hatte, alltägliche Gespräche mitzuverfolgen. Es gibt allerdings auch Zwischensequenzen in normaler Prosa, bei denen man Einblicke in Hildys Leben abseits des Experiments bekommt. Das sorgt für Abwechslung, allerdings war ich meistens mehr an den Fragen interessiert. Das mag wohl daran liegen, dass ich Hildys Eltern und auch ihre beste Freundin Xiu einfach anstrengend fand. Ebenso spielt hier herein, dass sie als Nebencharaktere ziemlich flach bleiben. Der Fokus liegt eindeutig auf Paul und Hildy, was angesichts der Länge des Romans und des Inhalts nicht weiter tragisch ist.

Fazit
Das erste Drittel des Romans war eine Herausforderung für mich, da ich mit den Hauptfiguren Hildy und Paul absolut nichts anzufangen wusste. Zum Glück blieb das nicht auf Dauer so, sodass ich doch noch mit ihnen warm geworden bin. Die überwiegende Dialogstruktur lässt sich angenehm lesen und humorvolle und ernste Momente wechseln sich ab, was dazu führte, dass ich den Roman ab dem zweiten Drittel sehr genossen habe.

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