Rezension

Hulda und die Tote im Landwehrkanal

Fräulein Gold. Schatten und Licht - Anne Stern

Fräulein Gold. Schatten und Licht
von Anne Stern

Bewertet mit 5 Sternen

„...Wenn Sie mit dem Feuer spielen können, tun Sie`s nur zu gerne. Aber am Ende verbrennt man sich immer...“

 

Bert ist Kioskbesitzer in Berlin anno 1922. Seine Warnung an die Hebamme Hulda Gold kommt nicht ohne Grund. Vor einigen Tagen hat man eine Frauenleiche aus dem Landwehrkanal geborgen. Bei ihren Besuchen wird Hulda immer wieder an Ruth, die Tote, erinnert. So gehört deren Nachbarin zu Huldas Patienten, denn sie steht kurz vor der Geburt. Hulda stellt Fragen und bringt sich dabei in Gefahr.

Der Fall landet bei Kriminalkommissar Karl North. Der wird plötzlich mit seiner eignen Vergangenheit konfrontiert. Am liebsten würde er den Fall zu den Akten legen, wäre da nicht sein eifriger Assistent.

Die Autorin hat einen spannenden und gut recherchierten historischen Roman geschrieben. Der ausgefeilte Schriftstil macht das Lesen zum Vergnügen. Dabei schwingt ab und an ein feiner Humor mit, wie das folgende Zitat zeigt:

 

„...Für den Augenblick scheinen alle versorgt zu sein. Keine hungrigen Mäuler mit Buchstaben aus Druckerschwärze zu stopfen...“

 

Die Personen werden ausreichend charakterisiert. Hulda fühlt sich in ihren Beruf wohl. Trotzdem ist sie den Verlockungen der Zeit nicht abgeneigt. Tanz, Alkohol und manchmal auch eine Prise weißes Pulver gehören dazu.

Karl hadert mit seiner Vergangenheit. Wie ein abgelegtes Kleidungsstück wurde er als Neugeborener im Waisenhaus abgegeben. Die harte Kindheit hat ihn geformt. Seine Intelligenz und und ein aufmerksamer Gönner haben ihn dann den Weg zur Kriminalpolizei geebnet.

Sehr differenziert wird das gesellschaftliche Leben dargestellt. Hulda wirkt vorwiegend in den Armenviertel der Stadt. Die Mietskasernen sind die Häuser, in denen sie erwartet wird. Besonders prosaisch drückt sie das nach einer gelungenen Geburt in dem folgende Satz aus:

 

„...Ein neues Leben begann, still und unbemerkt in dieser Mietskaserne, die wie eine Wabe im wimmelnden Bienenstock namens Berlin klebte...“

 

Andererseits schwingt eine gewisse Leichtigkeit des Lebens in der Großstadt mit. Und schon ziehen drohende Wolken am Horizont auf. Antisemitische Äußerungen und die Rufe nach einem starken Mann klingen leise durch. Der Erste Weltkrieg hat vor allem bei den Männern Spuren hinterlassen.

Hulda lässt mich an ihren beruflichen Erfolgen und Niederlagen teilnehmen, thematisiert die Überheblichkeit der Ärzte gegenüber den Hebammen, macht aber anderseits deutlich, wo ihre Grenzen liegen und wann nur noch ein Arzt helfen kann. Ein Beispiel ist die Schwangerschaftsvergiftung einer ihrer Patientinnen, für deren sofortige Einweisung in eine Klinik sie sorgt.

Die Ermittlungen im Kriminalfall gehen schleppend voran. Huldas eigene Erkundungen zeichnen ein vielschichtiges Bild der Toten.

Sehr gut gefallen hat mir, wie die Autorin die Lebensgeschichten ihrer Protagonisten in die Handlung integriert. Das betrifft nicht nur Karl und Hulda, sondern zum Beispiel auch die Tote. Bei letzterer nutzt sie deren Notizbuch, um mir einen Einblick in einige Jahre ihres Lebens zu geben. Sie hat als Krankenschwester in einer Nervenheilanstalt gearbeitet, beschreibt das Verhalten der Kranken und die ziemlich rabiaten Behandlungsmethoden. Eine besondere Rolle spielt dabei die Zeit des Ersten Weltkriegs. Damals kommen viele Männer gestört von der Front. Während sich einige voller Mitleid um sie kümmern, werden sie von anderen für Schwächlinge und Simulanten gehalten.

Auch Huldas Privatleben ist von Auf und Ab gekennzeichnet.

Das Buch hat mir ob seiner Vielschichtigkeit und Lebendigkeit sehr gut gefallen. Mit einem der für mich schönsten Abschnitte möchte ich meine Rezension beenden:

 

„...Seltsam, an welch dünnen Fädchen so ein Leben hängt. Die Kinder, die ich auf die Welt hole, sind alle unbeschriebene Blätter. Sie kämpfen sich ans Licht, klammern sich mit ihren winzigen, aber starken Fingern ans Leben. Und dann geht es wie auf einer Rutschbahn los, ohne das man ahnt, wo das Ziel ist...“