Rezension

Humorvoller Blick auf Altersdemenz

Pardon, Monsieur, ist dieser Hund blind? - Herve Jaouen

Pardon, Monsieur, ist dieser Hund blind?
von Hervé Jaouen

Bewertet mit 4 Sternen

Véros Omama kann wegen fortschreitender Alzheimererkrankung nicht mehr allein in ihrem Haus leben und so beginnen für die dreizehnjährige Icherzählerin die Sommerferien damit, dass Omama in Véros ehemaliges Kinderzimmer zieht. Mit einem Philosophielehrer als Vater und einem "Blödmann" von großem Bruder geschlagen, übernimmt Véro mit bemerkenswerter Ironie, dabei stets liebevoll, die Berichterstattung über ihr reichlich unruhiges Familienleben. Betroffene Familienangehörige werden ahnen, dass auf diesen Sommer viel zu schnell Herbst und Winter folgen werden und es Véros Familie dann sehr schwer fallen wird, die Auswirkungen der Alzheimererkrankung noch mit Humor zu nehmen. Véro erkennt schon gleich zu Beginn, dass ihre Mutter alles andere als amüsiert auf Omas nächtliche Eskapaden reagiert, sich jedoch mit aller Kraft darum bemüht, nicht aus der Rolle der Betreuenden zu fallen. Doch noch wahrt Omama die Contenance, obwohl sie nur selten die Familienmitglieder richtig benennen kann. Wenn ihr Schwiegersohn sie in dem Glauben bestätigt, dass er als Wilderer für Fleisch auf der Tafel sorgt, hat das anschließende Lachen tatsächlich etwas Befreiendes. Bisher ist Véro die Einzige, die Einblick in die Fotoalben und die Liebesbriefe ihrer Großmutter hat, die von einem bemerkenswerten Leben erzählen, in dem Hemingway persönlich und ein Torero entscheidende Rollen spielen.

Véros Ironie hat mir anfangs Schwierigkeiten bereitet, weil Witzeleien eher von Familienangehörigen oder guten Freundinnen verstanden werden und mir nicht der passende Gesprächston gegenüber einem fremden Leser schienen. Doch wie Omama bereits völlig das Gedächtnis eingebüßt hat, aber immer noch standesgemäß bei den Mahlzeiten der Familientafel vorsitzt, obwohl alles so knapp ist im - ihrer Ansicht nach - von den Deutschen besetzten Frankreich - finde ich so aufmerksam beobachtet und liebevoll beschrieben, dass ich mich im Laufe der Geschichte mit Véros Ton versöhnt habe. Einen ironischen Text in eine andere Sprache zu übersetzen, muss ein hartes Brot für jeden Übersetzer sein. Der Roman, der Pflichtlektüre französischer Schüler ist, richtet sich an Leser ab 12. Ich empfehle ihn auch jedem Erwachsenen, der sich einer humorvollen Betrachtung der Altersdemenz gewachsen fühlt.