Rezension

I see dead people ...

Der Freund der Toten - Jess Kidd

Der Freund der Toten
von Jess Kidd

Bewertet mit 4.5 Sternen

Ich würde gern sagen, dass dies das außergewöhnlichste Buch ist, das ich zumindest in letzter Zeit gelesen habe. Und auf gewisse Weise stimmt das auch, denn allein die Sprache ist wahnsinnig poetisch auf eine Art, die nicht aufgesetzt wirkt. Warum dann trotzdem nicht volle Punktzahl? Ich versuche mal, die Sache zu beleuchten.

1976. In Mulderrig, Irland, ticken die Uhren noch ein wenig anders als im Rest vom UK. Fremde sind dort nicht willkommen, und doch taucht eines Tages ein solcher auf: Mahoney, ein junger Mann in abgerissenen Klamotten, der Dubliner Großstadtjunge mit jeder Faser schreit. Trotz seines unrasierten, ungewaschenen Äußeren wirkt er anziehend auf die Leute, er, mit seinen dunklen Augen, die vielen der Leute bekannt vorkommen, mit seinem schnellen Lächeln, seiner ganzen Art. Er sagt, er will mal raus aus der Großstadt, doch in Wirklichkeit sucht er etwas: die Wahrheit über seine Mutter, denn Mahoney ist im Waisenhaus aufgewachsen. Und so wirbelt er die kleinstädtische Idylle auf, macht sich gute Freunde und erbitterte Feinde und die Damenwelt liegt ihm zu Füßen. Doch es gibt auch einen Mörder, der viele Jahre lang seine Ruhe hatte, und der nicht bereit ist, seine idyllische Ruhe stören zu lassen. Was die meisten nicht wissen: Mahoney kann die Toten sehen, und die Toten sind auf seiner Seite.

Ist es ein Krimi? Nein, auch wenn kriminelle und ermittlungstechnische Elemente enthalten sind.
Ist es der große irische Roman? Bestimmt auch nicht, trotz der außergewöhnlichen Sprache und Poesie, mit welcher die Autorin ihre Worte und Geschichte webt.
Dieses Buch lässt sich in keine Schublade stecken, was gut ist. Ich war nahezu durchweg gefesselt, obwohl die Spannung mäßig ist - dieser Roman hat Spannung in dem Sinne nicht nötig, ich hatte sogar das Gefühl, dass er mich und meine Art (in der Regel sehr schnell) zu lesen entschleunigt. Er vermittelt trotz grausamer Momente eine Art Ruhe und oft auch Schmunzeln. Der einzige Grund, warum es dann doch Abzüge gab in der Bewertung war mein Unverständnis dafür, dass jede Frau einem abgerissenen, ungewaschenen (!) Hippie so hinreißend fand, dass sie ihre Röcke für ihn lüften wollen, das ging mir nach einer Weile auf die Nerven. Auch die plötzliche Liebe, die gleich mehrere Damen für ihn empfanden, war trotz meiner Sympathie für Mahoney nicht nachvollziehbar. Wen solche Sachen nicht stören, wird einen wirklich außergewöhnlichen Roman mit sympathischen und unsympathischen Protagonisten, einer ungewöhnlichen Handlung und faszinierenden Sprache vorfinden.

Kommentare

Fornika kommentierte am 16. April 2017 um 10:34

Da sind wir uns wohl mal wieder einig ; )

E-möbe kommentierte am 16. April 2017 um 11:02

Passiert ja öfter. ;)

wandagreen kommentierte am 17. Juni 2017 um 08:54

Habe ich nun auch gelesen, Archer, und auch mir hat es gefallen, die genannte Kritik ist auch meine, obwohl ich sie unerwähnt ließ. Trotzdem habe ich ein bisschen weniger Sterne verliehen. Aber nicht viel. Ich bin beruhigt, dass dieser Roman Gnade vor deinem Leseauge fand ! xDDD.

E-möbe kommentierte am 17. Juni 2017 um 22:31

Ich war ja ein bisschen enttäuscht von dir, Wanda. Punkteabzug wegen Präsens? Du lebst wohl gern in der Vergangenheit. ;)

wandagreen kommentierte am 17. Juni 2017 um 23:13

Nee, wenn man im Präsens schreibt, braucht man einen guten Grund dafür und den hatte sie nicht. Präsens ist holprig.

E-möbe kommentierte am 18. Juni 2017 um 10:56

Let's agree to disagree.