Rezension

Ich bin hin und hergerissen zwischen einem ironischen Halleluja und einem „Danke Michi“.

Ich bin ich - Micha Ela

Ich bin ich
von Micha Ela

Ein selbstbewusster Titel vor rotem Hintergrund. Spiegelt dieser den Inhalt wieder oder wird die Geschichte ‚Bunt wie das Leben‘ erzählt?

Redaktioneller Hinweis: Ich danke dem Verlag für die Bereitstellung eines Rezensionsexemplares.

Cover

Ein Symbol und drei Bilder einer Person, die verdeutlichen, dass es hier um eine echte Lebensgeschichte geht. Es passt, strotzt es doch ob der Bilder und des Titels vor Selbstbewusstsein!

Inhalt und Aufteilung des Buches
Gleich zwei Vorworte stimmen auf die erzählte Lebensgeschichte ein. Zum einen die Erklärung, dass dieses Werk nicht vergleichbar ist mit anderen ‚Lebensbeichten‘ und von der Schwierigkeit das passende Genre (nicht die passende Schublade) zu finden. Das es nicht einfach war das Erlebte in Worte zu kleiden und es doch geschafft wurde, zeigt das klar strukturierte Inhaltsverzeichnis. Beginnend mit der Kindheit, über das neue Leben als Michaela, fortgeführt über die schreckliche Diagnose HIV bis hin zum Berufsleben und Einsichten, die auch Erfahrungen aufzeigen. Anmerkungen und Erklärungen runden das Buch ab.
Ehrlicherweise muss ich gestehen nach dem ersten Kapitel die Erklärungen und Anmerkungen gelesen zu haben. Nicht aus Langeweile, sondern aus dem Wissensdurst heraus, welche Seele im Endeffekt das Buch schrieb: „Konnten Ärger, Enttäuschung, Unverstandensein überwunden werden?“ Zu sehr drangen Schuldzuweisungen und Anklagen durch, doch ihr erster Dank gilt Gott und das schien mir ein gutes Zeichen weiterzulesen.

Die Erzählung des Lebens beginnt folgerichtig mit dem Kindesalter. Kurz werden die Stationen von Micha Ela aufgezählt und ebenso kurz die Gründe der wiederholten Einweisungen in die Psychiatrie und die Stolpersteine des Lebens glaubhaft erwähnt. Zu der Zeit war  der Umgang mit „nicht normgerechten Verhalten“ durchaus anders als heute und für die Leserschaft, die das weiß, ist die Geschichte plausibel. Andere werden die Hälfte des ersten Teils eher stirnrunzelnd lesen.  

Dankenswerterweise werden selbst die Gedankengänge des damals 14 jährigen Michael abgedruckt und verschaffen so eine persönliche Tiefe der Autorin, um den Leser nachvollziehen zu lassen, wie sich, damals noch Michael, gefühlt haben muss. Indirekt mag sich der Leser fragen, warum nach all diesen Jahren die Gedankengänge noch so bewusst sind und ob man selbst als Michaels Gegenspieler ggf anders reagiert hätte: Fragt man einen 14 jährigen oder bestimmt man über seinen Kopf hinweg? So gesehen, kann dieses Buch als Spiegel gesehen werden, der einem zeigt, wie ein Jugendlicher in betreffenden Situationen denkt und fühlt.

Das Kapitel ‚Einsichten‘ weist sehr deutlich auf die Gefahren der Hormonnahme hin aber auch auf den Grund, warum aus medizinischer Sicht eine Seele im falschen  Körper stecken könnte. Insbesondere dieser wichtige Aspekt erschien mir zu sehr versteckt im Text. Aufgrund der Offenheit stellte sich schnell der Eindruck ein, dass es sich bei den Beweggründen der Autorin nicht um eine ‚Mode‘ gehandelt haben könnte oder der Weg aus ‚Jux und Dollerei‘ beschritten wurde, obwohl Wunsch und Hoffnung so leben zu können lediglich angeschnitten wurden. Hier fehlen weitere Ausführungen.
Gefährlich hingegen empfand ich persönlich die Aussage auf Seite 127 auf ein Telefonat hin Medikamente abzusetzen. Auch dies ist zu kurz angerissen.

Angesprochen wird die Abgrenzung zu operativen Eingriffen und möglichen Gefahren an einem traurigen Beispiel. Allerdings steht hier für den Leser sofort die Frage im Raum, wo eine seelische Störung vorliegt und wo eine Hormonbehandlung oder eben ein operativer Eingriff sinnvoll sind. Es ist und bleibt ein schwieriges Thema und dieses Buch vermag es einen klitzekleinen Einblick zu gewähren und die Möglichkeit das Thema neu zu begreifen.

Zielgruppe
Es ist kein Kinderbuch und auch Jugendliche könnten sich mit der Bewertung des dargebotenen Inhaltes schwertun. Wer aber interessiert ist an Hintergründen und der Verarbeitung eines Leidensweges, der findet hier nachdenkenswerten Stoff.

Stil
Die Geschichte wird lediglich aus der Sicht von Micha Ela erzählt und reiht sachlich nüchtern Erinnerungen an Vorkommnisse, wobei auch Gedanken mit eingebracht werden und so den Leser an der Gedankenwelt wirklich teilhaben lassen.

Verständlichkeit
Der Text ist verständlich dargeboten. Die Gedankengänge sind durchaus nachvollziehbar und münden manchesmal in der Frage, was wohl der Hintergrund der Psychologen, Lehrer, Diakone und weiteren Beteiligten  war, so zu agieren. Aufgrund der Tatsache nur eine Seite der Medaille zu erfahren bleibt das Verständnis für die Handlungsweisen der beteiligten Personen auf der Strecke. Stellenweise ergäben sich Möglichkeiten Situationen zu hinterfragen und zu erörtern. Und hier fehlt es dem Buch.

Umfang
Die 138 Seiten geben einen guten Einblick in die Qual und Ungewissheit der jeweiligen Aktion innerhalb der 45 erzählten Jahre. Vieles wird kurz angerissen und nicht hinterfragt: „Es passierte dies und es passierte das ...“ Wenn ein Medikament verabreicht worden war, dass „damals noch nicht richtig geprüft gewesen war“ wird dies nach damaliger Erkenntnis vermutlich der letzte Strohhalm gewesen sein. Es wird beim Lesen teils schwer sich des Eindruckes zu erweren, dass oftmals Standardbehandlungen ausgeführt wurden und nach einem Treffen im Cafe mit einem Unbekannten oder einem Telefonat mit einem anderen Unbekannten der richtige Weg, die richtige Medikamentation gefunden war. Halleluja!  

Qualität
Das Werk ist als eBook umgesetzt und enthält eindeutige Formatierungen, um Gedankengänge von dargestellten Meinungen und Erinnerungen zu trennen.

Fazit
Eine Abrechnung mit teilweise angedeuteter Beschuldigung für beispielsweise den notwendigen Wechsel in die Realschule oder die Verabreichung nicht richtig geprüfter Medikamente lassen das Buch zu Beginn als persönliche Aufarbeitung und Abrechnung erscheinen. Im Folgenden ist das Werk die Aneinanderreihung von Aktionen, das viele offene Fragen hinterlässt. Auf der anderen Seite steht das Kapitel Einsichten, dass wirklich lesenswert ist. So steht mein Fazit zwischen einem ironischen Halleluja und einem „Danke Michi“ für die Offenheit.