Rezension

Ich finde Schmidt ignoriert einfach gesellschaftliche Entwicklungen

Untervögelt? - Volker Schmidt

Untervögelt?
von Volker Schmidt

Bewertet mit 1.5 Sternen

Ich gebe zu, ich finde das Buch insgesamt inhaltlich etwas überflüssig, aber auch nicht überzeugend. Schmidt teilt keinerlei wirklich neue Informationen, die nicht aus Sexualratgebern oder Aufklärungsbücher der letzten Jahre, schon bekannt wären. Zum Teil sind seine Erkenntnisse meiner Meinung nach zwar nicht verkehrt. Ich finde es schon wichtig das unsere Gesellschaft unseren Umgang mit Sex und Sexualität verändern muss. Allerdings zieht er einfach andere Schlüsse als ich daraus - was okey ist, ich muss ja nicht seiner Meinung sein. Was für mich das Buch aber nicht soo empfehlenswert macht. 
Ich finde es zwar gut, das er seine Argumentation mit verschiedenen wissenschaftlichen Studien untermauern möchte. Allerdings finde ich schon hier die Zusammenfassungen nicht immer gelungen. Manchmal häufen sich einfach nur verschiedene Erkenntnisse, Schmidt vergisst aber die Studien mit seinem jeweiligen Kapitelthema sinnvoll zu verknüpfen. Oftmals fehlte mir schlichtweg der Sinn, weshalb er eine bestimmte Studie nennt, dann aber gar nicht genau ausführt, was er mit ihr an diesem Punkt erklären möchte. 

Gut fand ich auch, das er klar macht, das vor allem Selbstbestimmung über den eigenen Körper und die freie Wahl einer der Schlüssel zu erfüllten Sexualität sind. Auch andere Punkte die dazu führen, weshalb der Geschlechtsverkehr von Menschen als nicht immer erfüllend wahrgenommen wird, fand ich schlüssig. 

Allerdings fokussiert sich Schmidt sehr auf Naturwissenschaftliche Erklärungen und verschiedene zum Teil auch Sozialwissenschaftliche Studien - ignoriert dabei aber meiner Meinung nach völlig, das auch andere Einflüsse die eigene Auslebung der Sexualität massiv beeinflussen. Denn die Gründe die zu Geschlechtsverkehr führen sind vielfältig und nicht immer so stark beeinflussbar, wie der Autor das suggeriert. Nach Meinung des Autors muss zwar ein neuer Blick auf den Geschlechtsverkehr her und vor allem ein natürlicher Umgang damit. Aber er fokussiert sich dabei so stark auf biologische logiken, das er die gesellschaftlichen Entwicklungen außen vor lässt. 
Er ignoriert in seiner Argumentation völlig, das gerade die Vorstellungen die über Frauen und Männer und andere Geschlechter herrschen, auch die Auslebung von Körperlichkeit so stark beeinflussen, das hier ein neuer Blick auf Sex allein einfach zu kurz gedacht ist.
Das ist zwar ein netter Rat, stößt aber keine Diskussion darüber an, wie sich dieser Blick ändern könnte. Sein Vergleich übrigens mit bestimmten Tierarten, die vermutlich eher wenig Spaß am Geschlechtsakt haben (oder sogar gar keinen) mit Menschen (und anderen Tieren die Spaß an Sex haben) hinkt auch. Hier hätte er mich vielleicht überzeugen können, wenn er ausgeführt hätte, das es Hinweise bei den Arten die er bennent, darauf gibt, das sie auch Spaß daran haben. Ansonsten fand ich den Hinweis darauf, das die Männchen einer bestimmten Entenart einen längeren Penis (im erigierten Zustand) haben können, als der Körper lang ist, völlig überflüssig. Was sollte mir diese Information bitte eigentlich sagen??? 
Immerhin bemüht er sich, Frauen und Männer gleichermaßen im Blick zu haben. Schade fand ich das er sich dabei so stark darauf fokussiert, die Menschen würden aus genau zwei Geschlechtern bestehen keine weiteren Geschlechter kennen (und wieder ignoriert, das genau diese Konstruktionen auch die naturwissenschaftlichen Forschungen beeinflusst haben und es nach wie vor tun). 

Zu guter letzt, fand ich den aufgesetzten humorvollen Ton, den Volker Schmidt anschlägt anstrengend und ziemlich nervtötend. 

Ich finde es wichtig das unsere Gesellschaft Sexualität und alles was damit zusammen hängt aus ihrem Schmuddeldasein heraus befördert und das wir uns mehr trauen, mit unseren jeweiligen Sexualpartnern*innen auf Augenhöhe über Wünsche und vielleicht auch Ängste zu sprechen. Es ist nach wie vor so, das viele Frauen noch nie einen Orgasmus hatten oder aufgrund schlechter Erfahrungen nicht wissen, das Sex auch richtig toll sein kann (und dann keinesfalls überschätzt ist, wie ich das als Aussage von einer Person tatsächlich mal gehört habe). Aber meiner Meinung nach greift Schmidts Buch einfach zu kurz und ignoriert in seinen Argumenten die verschiedenen Diskurse, die zur Herausbildung des heutigen Bildes von Sex und Sexualität geführt haben und sie nach wie vor bestimmen.