Rezension

Ich verlange nach Band 2 :)

Düsteres Verlangen - Kenneth Oppel

Düsteres Verlangen
von Kenneth Oppel

Bewertet mit 5 Sternen

Wer kennt ihn nicht: Victor Frankenstein, den Schöpfer von Frankensteins Monster und der Protagonist einer ebenso aufregenden, wie schaurigen und auch traurigen Geschichte.  Wie aber kam Victor Frankenstein dazu, einen künstlichen Menschen zu schaffen? Wie wurde er zu dem Victor Frankenstein, den alle Welt  heutzutage kennt?
Kenneth Oppel hat sich in Düsteres Verlangen mit genau dieser Frage beschäftigt und sich den jungen Jahren des Victor Frankenstein angenommen. Diese Vorgeschichte zu Mary Shelley‘s Frankenstein hätte der Autorin bestimmt gefallen, denn sie ist einfach unglaublich gut!
Der Autor hat sich im Großen und Ganzen an das gehalten, was man in Frankenstein über die Jugend von Victor erfährt. Mit einer großen Ausnahme: Konrad.  Konrad ist in Düsteres Verlangen Victors Zwillingsbruder und der „bessere“ Bruder von beiden, was nicht nur an den zwei Minuten liegt, die er vor Victor geboren wurde.
In den ersten Kapiteln lernt man die beiden Brüder und ihre Beziehung zueinander kennen. Das Augenmerkt liegt dabei aber auf Victor, denn die Geschichte ist aus seiner Sicht geschrieben.  Durch die Ich-Perspektive erhält man einen genauen Einblick in seine Gedanken und sein Gefühlsleben.  Schnell wird klar: Die beiden Brüder könnten unterschiedlicher nicht sein. Victor hat einen aufbrausenden Charakter, er ist sehr launenhaft und unbesonnen. Ganz im Gegensatz zu seinem Bruder Konrad, der immer vernünftig, ruhig und eher still zu sein scheint. Es wird auch deutlich, dass Konrad der beliebtere Zwillingsbruder ist,  was Victor ein Dorn im Auge ist.
Victor war mir mit seiner teilweise arroganten und überheblichen Art am Anfang nicht gerade sympathisch, das muss ich zugeben. Dennoch hat er eine ganz eigenartige Anziehung auf mich ausgeübt, die ich mir nicht erklären konnte. Seine trüben Gedanken über die Unterschiede zu seinem Bruder waren nur allzu verständlich und ich empfand sogar ein wenig Mitleid mit ihm. Konrad war mir im Vergleich zu seinem Bruder etwas zu glatt und zu blass,  weswegen ich auch zu ihm zunächst keine tiefgehende Sympathie aufbauen konnte.
Die ersten Kapitel dienen der Einführung in das Buch, die das Dilemma Victors deutlich macht: Konrad, sein engster Vertrauter und der Mensch, mit dem er sich am meisten verbunden fühlt, ist gleichzeitig auch sein größter Konkurrent, den es zu „besiegen“ gilt.  So wird dem Leser gleich zu Beginn klar: Diese innere Zerrissenheit Victors könnte zu einem großen Problem werden.
Als Konrad schwer erkrankt, erreicht diese Zerrissenheit ein neues Ausmaß. Victor entdeckt in einer geheimen Bibliothek alchemistische Bücher, die von einem Elixier des Lebens sprechen, das Konrad heilen könnte.  Der Drang, seinen Bruder mit diesem Elixier zu retten, wird in Victor ebenso groß wie das Bestreben, durch das Herstellen dieses Elixiers aller Welt zu beweisen, dass es etwas gibt, worin Victor seinen Bruder übertrifft.  Diese Chance, einmal besser zu sein als Konrad, stachelt Victor an. 
So beginnt für Victor, seine entfernte Cousine Elizabeth und seinen besten Freund Henry ein Abenteuer, das ihnen eigentlich von Victors Vater Alphonse verboten worden ist. Doch Victor kann nichts mehr aufhalten.
Zusammen mit einem Alchimisten kommen die drei Freunde dem Geheimnis des Elixiers des Lebens auf die Spur. Um zu ihrem Ziel zu gelangen, müssen sie 3 Aufgaben bewältigen, die ihnen alles abverlangen. Die Spannung ist dabei kaum auszuhalten und es wird an einigen Stellen auch sehr gruselig. Hätte irgendwo eine Tür geknallt, als ich gerade beim Lesen war, dann wäre ich vor Schreck wahrscheinlich aus dem Sessel gefallen, so gefesselt war ich von dem Buch. 
Die Bewältigung der Aufgaben stellt Victor und seine Freunde vor ungeahnte Probleme und Entscheidungen, und man erlebt hautnah mit, was das mit den Charakteren anstellt. Vor allem in Victor geht ein starker Wandel vor.  Er fühlt sich von der Alchemie angezogen und entdeckt darin etwas, das ihm Spaß macht und in dem er gut ist. Von besonderer Bedeutung ist aber,  dass die Alchemie etwas darstellt,  das Konrad nie beherrschen wird!
Sein anfänglich von Bruderliebe geprägtes  Bestreben, Konrad  zu helfen, wandelt sich in ein Verlangen, sich und den anderen zu beweisen, dass er besser sein kann als Konrad. Dass er nicht nur von Liebe zu seinem Bruder, sondern auch von Machtbesessenheit und seinem aufbrausendem Wesen getrieben wird, gibt dem ganzen etwas Düsteres… Das düstere Verlangen des Victor Frankenstein… Der Titel könnte also nicht passender gewählt sein! 
Das Verlangen, sein Können zu beweisen, richtet sich zu einem großen Teil allerdings an eine ganz bestimmte Person: Elizabeth. Victor entdeckt, dass er Gefühle für sie hat, dass sie diese aber offensichtlich nicht erwidert. Diese unerfüllte Liebe macht ihm zusätzlich zu schaffen und bringt ihn dazu, Dinge zu tun und Gedanken zu haben, die ihn teilweise selbst erschrecken. Ja, die Liebe spielt im Buch eine wichtige Rolle, allerdings doch eher unterschwellig - und auf kitschige und herzzerreißend- romantische Szenen stößt man in Düsteres Verlangen nicht.
Die ganze Zeit habe ich mit Viktor darum gebangt, dass er zum einen das Elixier für seinen Bruder bekommt,  zum anderen aber auch um ihn selbst. Ich war ständig in der Angst, dass er vom Weg abkommt und sein eigentliches Ziel, seinen Bruder zu retten,  aus den Augen verliert. Doch Victor schaffte es immer wieder, mich davon zu überzeugen, dass er es nicht vergessen hat. 
Es ist also nicht nur die Frage, ob Victor und seine Freunde das Elixier beschaffen und Konrad retten können, sondern auch das Bangen darum, ob Victor sich selbst und seine gute Absichten verliert, die das Buch so spannend und emotional machen, dass man es kaum aus der Hand legen kann. 
Hinzu kommt die Atmosphäre, die für das Buch einfach absolut perfekt ist. Es ist atemberaubend, spannend, aber auch düster und ab und an etwas beklemmend. Trotzdem konnte ich vollkommen in der Geschichte versinken und kaum noch daraus auftauchen. 

Besonders gefallen hat mir die Art und Weise, wie Kenneth Oppel Naturwissenschaften, Glaube und Magie mit in das Buch eingewoben hat. Vor allem in Bezug auf die Naturwissenschaften schlug mein Biologen-Herz höher. So untersucht beispielsweise ein Arzt das Blut von Konrad, und seine Beschreibungen zu dem, was er sieht,  haben mich aufgrund ihrer Schlichtheit doch leicht schmunzeln lassen.  Für die Menschen um 1800 war diese Entdeckung sicherlich faszinierend und unbegreifbar, aus heutiger Sicht aber lange überholt. So ist es allerdings nicht nur mit den medizinischen Dingen, sondern auch mit denen, die in Bezug auf das Elixier auftreten. Für Victor, Elizabeth und Henry grenzen sie an Magie, weil so wenig über sie bekannt ist und sie scheinbar übernatürliche Kräfte in sich tragen;  für uns „aufgeklärte“ Menschen sind sie aber etwas ganz „Normales“. Umso genialer ist es, dass Kenneth Oppel es geschafft hat, diesen Dingen diese Normalität zu nehmen und ihnen auch für den fortschrittlichen Leser etwas Magisches und Unbekanntes zu verleihen. Das macht einen großen Teil meiner Faszination für dieses Buch aus!
Das Ende des Buches… Ja, das ist überraschend und erwartet zugleich, was vollkommen positiv gemeint ist. Das klingt jetzt vielleicht verwirrend, aber wenn ihr das Buch lest, dann versteht ihr, was ich meine. Es gibt auch schon einen kleinen Ausblick auf den nächsten Band und der macht wahnsinnig neugierig. Ich kann es kaum erwarten  zu erfahren, wie es mit Victor und den anderen weitergeht!

Fazit
Nicht düster, dafür aber umso stärker ist mein Verlangen, das nächste Buch über Victor Frankenstein aus der Feder von Kenneth Oppel zu lesen! Victor und seine Geschichte haben es mir angetan und konnten mich davon überzeugen, dass auch düstere Geschichten begeistern können.