Rezension

Ich war ein Mensch

Unruhe - Zülfü Livaneli

Unruhe
von Zülfü Livaneli

Bewertet mit 4.5 Sternen

Ibrahim hat seine kleine Heimatstadt an der türkisch-syrischen Grenze eigentlich längst hinter sich gelassen. Er arbeitet schon seit Jahren als Journalist in Istambul und hat keinen Gedanken mehr an seine Kindheit verschwendet. Doch als er hört, dass ein alter Schulfreund von ihm in Amerika erstochen wurde reist er zurück. In Mardin mit seinem roten Sand und den Flüchtlingslagern praktisch vor der Tür begibt er sich auf Spurensuche: Wieso wurde der herzensgute Hüseyin getötet? Was trieb ihn nach Amerika? Und was hat es mit seiner jesidischen Verlobten auf sich, wegen der es fast zum Bruch mit seiner Familie gekommen wäre?

Livanali lässt neben Ich-Erzähler Ibrahim viele Menschen zu Wort kommen, was für verschiedenste Blickwinkel sorgt. Wie auch der ruhige Grundton hat mir das sehr gefallen. Wie nebenbei informiert der Roman über die jesidische Glaubensgemeinschaft und die Vorurteile mit denen sie zu kämpfen haben. Er informiert über Leid und Missstände und lässt schließlich auch Ibrahim sich selbst und sein Leben hinterfragen. Allein an Hüseyin Geschichte wird die Absurdität der Welt sichtbar: Aus der Türkei musste er fliehen, weil der IS ihm vorwarf kein richtiger Muslim zu sein. In Amerika wurde er dann von Extremisten getötet, eben weil er Muslim war.

„Was tat eigentlich der Gott so vieler Religionen, während all das geschah, fragt ich mich und hatte die Antwort auch gleich parat. Er ruhte sich wohl aus, denn es musste der siebte Tag sein; in sechs Tagen hatte er die Welt erschaffen, und nun, am siebten Tag hatte er sich zum Ruhen zurückgezogen. Und darum vermutlich die Schreie nicht gehört.“ S. 92

"Unruhe" ist ein kurzer aufrüttelnder Roman, der einfach rund ist. Mir hat die Sprache unheimlich gut gefallen. Der Aufbau hält den Leser durchweg bei der Stange. Ich hatte nie den Eindruck, dass ich belehrt werden sollte und die ernsten Themen wurden immer wieder mal humorvoll aufgelockert. Livaneli informiert ohne zu belehren. Er klagt an ohne zu verurteilen. Er schafft eine wunderbar mystische Atmosphäre und findet auch bei schweren Themen einen leichten Ton. Nach dem Beenden des Buches hätte ich gleich wieder von vorne anfangen können. Einfach ein wunderbarer Roman zur richtigen Zeit.