Rezension

Identität und Wurzeln

Die Unbezwingbare -

Die Unbezwingbare
von Katja Kettu

Bewertet mit 4 Sternen

"Meine Absicht ist es, die Geschichte mit der Stimme derjenigen zu erzählen, die zum Schweigen gebracht worden sind."

Und so erzählt die finnische Autorin Katja Ketting über die verlorenen Kinder der Ojibwe, einer indigenen Bevölkerungsgruppe im Norden Amerikas an der Grenze zu Kanada. Eine Geschichte über geraubte Identitäten, das Vergessen und Verdrängen, sowie über die gewaltige Wucht des Erinnerns. Historischer Rahmen des Romans ist die finnische Immigration im 19. & 20. Jahrhundert auf den nordamerikanischen Kontinent, die auch an den Grenzen des Reservats der Ojibwe nicht anhielt. Mit sorgfältig recherchiertem Hintergrundwissen porträtiert Ketting in diesem Buch ein Einzelschicksal in durchaus anspruchvoller Sprache.

Lempi ist Tochter eines finnischen Immigranten und einer dem Stamm der Ojibwe angehörigen indigene Amerikanerin. Nach dem plötzlichen Verschwinden ihrer Mutter Rose vor mehr als 40 Jahren kehrt Lempi erstmals in das Reservat ihrer Kindheit zurück, um der Vergangenheit entgegenzutreten und sich auf Spurensuche nach den damaligen Geschehnissen zu begeben. Rose hat nichts zurückgelassen, außer einem Bündel selbstgeschriebener Briefe anhand welcher Lempi versucht, die Fragmente ihres Lebens und ihrer eigenen Identität zusammenzufügen. Denn Lempi steht zwischen zwei Kulturen, gehört keiner so ganz an. Für die Mitglieder ihres Reservats ist sie zu weiß, für die Gesellschaft außerhalb des Reservats bleibt sie für immer das Kind einer Indigenen. Und während das Verschwinden von einer Indigenen wie Rose keine behördliche Aufmerksamkeit erregt, verschwindet mit Lempis Ankunft plötzlich ein weißes, blondes Mädchen.

Die Autorin schreibt mit einer sehr ausgeschmückten, detailverliebten und metaphorischen Sprache über Mensch und Natur. Ein in Briefform verfasster Roman über misshandelte und verlorengegangene Mädchen und Frauen, denen in religiösen Zwangsinternaten ihre Identität und kulturelle Zugehörigkeit genommen wurde. Interessant zu lesen, doch man muss sich auf die Sprache der Autorin einlassen, die zwar wunderschön und zart ist, aber schwierige Themen, Missbrauch und Machthierarchien in beklemmende Worte fasst. Es ist kein Buch für Zwischendurch, sondern erschütternd schwere Kost und zeigt Elend und Ungerechtigkeit auf. Ein wichtiges Werk über Identität und das Wiederfinden der eigenen Wurzeln, das mich in seinen Sog gezogen hat und noch lange beschäftigen wird.