Rezension

Im Berlin der 20er

Das Diamantenmädchen - Ewald Arenz

Das Diamantenmädchen
von Ewald Arenz

Bewertet mit 4.5 Sternen

Lilli Kornfeld nimmt als Journalistin an einer Pressekonferenz teil. Der König des Irak ist in Berlin als Vertreter seines 1920 gerade erst gegründeten jungen Staats zu Gast. "Fräulein Kornfeld", 1899 geboren und als Tochter eines Bankiers in bürgerlichem Wohlstand aufgewachsen, hat die Inflation nach dem Ersten Weltkrieg zwar miterlebt, wirkt von den Folgen jedoch wenig betroffen. Lilli arbeitet bei der B.I.Z., der Berliner Illustrirten Zeitung des Ullstein Verlags. Sie fährt Auto und bewegt sich gewandt auf dem diplomatischem Parkett. Berlin zeigt sich Lilli im Moment des Pressetermins hektisch, Lilli fühlt sich zwischen Spannung und Melancholie hin und her gerissen. Im Anschluss an den dienstlichen Termin sucht Carl von Schubert, Staatsekretär im Außenministerium, Kontakt zu Lilli. Der Diplomat benötigt - streng vertraulich - die Dienste eines Diamantenschleifers und ist offenbar bestens über Lillis private Kontake informiert. Die junge Republik verfügt vermutlich über Vermögenswerte, die im Staatshaushalt nicht auftauchen sollen, um Begehrlichkeiten der Siegerstaaten auf höhere Reparationszahlungen zu vermeiden. Von Schubert ist eine historische Person (*1882-1947) und hatte die Position im Außenministerium zwischen 1924 und 1930 inne. Das Thema Diamanten regt Lilli an, ihren Chefredakteur zu einer Artikel-Serie für die B.I.Z. über Diamanten zu überreden. Den historischen Hintergrund zum Thema Diamanten (Diamantenfunde in der damaligen Kolonie Deutsch-Südwest, Präsenz russischer Adliger, die als Emigranten in Berlin leben und kostbaren Schmuck mitgebracht haben) präsentiert der Autor seinen Lesern im Verlauf der Handlung fesselnd und gut rechercheirt.

Parallel zu Lillis Erlebnissen folgen wir den Ermittlern Schambacher und Togotzes an den Fundort eines Toten. Der Mann ist Schwarzer, was in der damaligen Zeit nicht ungewöhnlich war, wie sich im Laufe der Ermittlungen herausstellen wird. An der Kleidung des Toten wird ein Rohdiamant in charakteristischer Form entdeckt. Die Ermittler haben als eingespieltes Team nach dem System Guter Bulle/böser Bulle mit bisher großem Ermittlungs-Erfolg die Rollen des distinguierten Juristen und des Mannes mit der Berliner Schnauze unter sich aufgeteilt. Schambacher sucht nun nach dem Riss in der Mauer, der den Fall für ihn und die Kollegen bröckeln lässt. Der gefundene Rohdiamant sollte die Fahnder bald zum Täter führen, da es nur drei Exemplare davon gibt. Drei Diamanten, drei Personen, die aktuell das Thema Diamanten bewegt - Lillis, Pauls und Schambachers Wege kreuzen sich.

Rückblenden führen in Lillis Kornblums Kindheit und Schulzeit. Mit ihrem älteren Bruder Wilhelm und dessen Freund Paul verband Lilli damals ein enges Verhältnis. Paul van Laans Großvater arbeitete als Diamantenschleifer. Lilli liebte die Geschichten, die in der Familie ihres Jugendfreundes von berühmten Diamanten erzählt wurden, und verfiel damals schon dem Zauber der Edelsteine. Seit Wilhelm nach dem letzten Gefecht, an dem er mit Freund Paul im Ersten Weltkrieg gemeinsam teilnahm, vermisst wird, ist das Verhältnis zwischen Paul und Lilli gespannt. Das Schweigen zwischen den Jugendfreunden, das Gefühl , "als ob man nie wieder etwas Schönes machen könnte" (S. 78) schildert Ewald Arenz sehr eindringlich.

Schon die erste Szene des Buches, in der eine zu dem Zeitpunkt noch unbekannte Person ihre Eindrücke schildert, weckte meine Neugier, welche Persönlichkeit da so exakt beobachtet. Lilli verbindet mit jeder Situation einen charakteristischen Geruch oder die besondere Stimmung einer Jahreszeit. "Das Wetter" zu Beginn jeder Szene wirkt in der Häufung wie eine Überdosis Puderzucker; einfach typisch für Lilli. Die junge Frau strukturiert ihre Eindrücke, sortiert Privates und Dienstliches auseinander, über das sie einen Artikel schreiben könnte. Ebenso klar nimmt Lilli Kornfeld den vollzogenen Schnitt zwischen Kaiserreich und Republik wahr. Besonders gut gelungen ist Ewald Arenz die Atmosphäre an den Arbeitsplätzen Lillis und Schambachers (in der Redaktion im Ullsteinhaus und im Polizeipräsidium am Alexanderplatz). Die Zeit, als es noch nach Farbbändern, Druckfarbe und Zeitung roch, wird in seinen Schilderungen wieder lebendig. Kopfzerbrechen hat mir der Autor bei der zeitlichen Einordnung der Ereignisse bereitet, als er Schambacher im Kaufhaus Hertie einkaufen lässt (Seite 40). Da die Handlung deutlich vor 1930 spielt und die Kaufhäuser der Familie Tietz erst nach der "Arisierung" so genannt wurden, passte die Bezeichnung nicht zum historischen Hintergrund.

Im Mittelpunkt des Romans um einen Mord und um kostbare Diamanten steht die junge Journalistin Lilli. Das Lebensgefühl im Berlin der 20er zwischen Aufbruch und Melancholie, die Wirkung des Ersten Weltkriegs bis in die privaten Beziehungen hinein erweckt Ewald Arenz gekonnt zum Leben. Sein Buch hat mich bis zur letzten Seite ausgezeichnet unterhalten.