Rezension

Im guten Glauben

Die Marschallin - Zora del Buono

Die Marschallin
von Zora del Buono

Bewertet mit 3.5 Sternen

Immer wieder überrascht es mich, dass in den beiden furchtbaren Weltkriegen wirklich auf der ganzen Welt Krieg herrschte. Natürlich soll der Begriff „Weltkrieg“ genau dies ausdrücken, aber die Welt ist für die Schulbildung zu groß, es wurde in meinen Geschichtsstunden immer nur partiell gelehrt, bis heute sind da große Lücken, die sich einfach nicht so recht schließen wollen. Ein sanfterer Einstieg in die Rezension zu Zora del Buonos Roman über ihre Großmutter wollte mir einfach nicht einfallen, denn auch bei ihr beginnt quasi das Buch mit dem Ersten Weltkrieg und den Verheerungen in ihrer slowenischen Heimat, welche Frontlinie zwischen Italien und Östereich-Ungarn war. Die berüchtigte Isonzofront im Soča-Tal, wie ich lernen durfte, über die auch Hemingway schrieb und von der ich aber trotzdem noch nie gelesen hatte. Zora Ostan hatte den Krieg glimpflich überstanden, sie kehrte mit der Familie aus der sicheren Zone zurück und fand im zerstörten Ort das Familienhaus unversehrt. Doch der Krieg verschob das Machtgefälle in Europa, das Habsburgerreich zerfiel, Slowenien musste Gebiete an Italien abgeben und Zora verliebte sich in einen italienischen Arzt. An der Seite ihres Mannes erlangte sie Reichtum und Ansehen und entbrannte dennoch für den Kommunismus. Trotz des Lebensmittelpunktes in Italien als Zora Del Buono unterstützte sie die Kommunisten und Partisanen im Zweiten Weltkrieg in ihrer Heimat und wurde glühende Bewunderin des Kommunistenführers Tito. Zora führte ein strenges Regiment in ihrer Familie, die drei Söhne standen unter ihrem Befehl und sollten möglichst nicht vor ihrem vierzigsten Geburtstag heiraten, um die Schwiegertöchter so lange wie möglich von Zora fernzuhalten.

In unregelmäßigen Zeitsprüngen ist der Leser an der Seite der Familie Del Buono bzw. Ostan. Die Perspektive richtet sich abwechselnd auf verschiedene Familienmitglieder.  Schauplätze sind verortet in Italien, auf Gefängnisinseln, von denen ich ebenfalls zum ersten Mal lese, im Soča-Tal, in der Schweiz und auch in Berlin. Die Erzählzeit liegt zwischen 1919 und 1948 bzw.  im Februar 1980. Zora del Buono erzählt in losen Episoden über ihre Familie, als roter Faden dient die Chronologie. Es sind Geschichten, die so gewesen sein könnten oder auch ein wenig anders hätten verlaufen sein können. Das gibt dem Roman einen angenehm weiten Raum für die eigene Fantasie und dennoch hat man das Gefühl, der Familie ganz nah zu sein. Zora Del Buono muss eine eindrucksvolle Persönlichkeit gewesen sein, die Bezeichnung der Marschallin ist völlig nachvollziehbar und doch faszinieren mich vor allem diese umbruchsvollen Jahre in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Mit der Industrialisierung verändert sich das Denken der Menschen, der Fortschritt kann nicht aufgehalten werden, auch nicht innerhalb der Gesellschaft. Die Monarchie steht auf der Verliererseite und der Kampf um die Vorherrschaft über das nachfolgende Regierungssystem wird innerhalb der Bevölkerung ausgetragen. Als müsse die Welt erst durch die Extreme bis sich das Gemäßigte durchsetzen kann. In Deutschland, Spanien und Italien kommen die Faschisten an die Macht, in Russland regiert Stalin unter dem Deckmantel des Kommunismus, aber seine Methoden unterscheiden sich kaum gegenüber denen der Faschisten. In Zoras Heimat wird Tito über Jahrzehnte das Wort führen. Die Wende 1989 und den endgültigen Zusammenbruch des Kommunismus erlebt Zora nicht mehr mit, eine Bewunderin Titos aber bleibt sie bis zu ihrem Lebensende.