Rezension

Im Jahre des Herrn, 1860

Unter dem Kauribaum - Rebecca Maly

Unter dem Kauribaum
von Rebecca Maly

Bewertet mit 5 Sternen

Meriel lebt mit ihren Eltern und ihren 3 Geschwistern in sehr ärmlichen Verhältnissen, in der kleinen Ansiedlung Stonebridge in Wales/Großbritannien. Der wertvollste Besitz ist ihr Kaltblutpferd Paul. Wie in jedem Jahr im Herbst, verlassen Vater Ian und der älteste Sohn Padric auch dieses Mal wieder ihr Zuhause, um sich als Holzfäller zu verdingen, während Meriel mit ihrer Mutter und den beiden kleinsten Geschwistern zu Hause bleibt. Das letzte Gewitter hat die Kornhalme zu Boden gedrückt, wo sie auf dem nassen Boden wahrscheinlich eher faulen als weiter zu reifen und alles in allem sind die Aussichten darauf, ausreichend Lebensmittel für den kommenden Winter zu haben, eher düster. Als Meriel ihre Mutter darauf anspricht, ob es wahr ist, dass sie bald noch ein Geschwisterchen bekommt, antwortet die Mutter mit der Aussage, dass es ein denkbar ungünstiger Zeitpunkt wäre, ein weiteres Kind zu bekommen und, dass „Frauen Mittel und Wege kennen um …..“. Daraufhin legt Meriel das folgende Versprechen ab:

„Mit Gottes Hilfe, ich werde dafür sorgen, dass wir keinen Hunger haben müssen. Mama, ich schwöre es.“

Da es den Bauern verboten ist auf Pachtland zu jagen - dieses Privileg gehört den reichen Herrschaften der Pächter-Familie Vaughan – muss Meriel sich ziemlich geschickt anstellen, um bei der Kaninchen-Jagd nicht gesehen zu werden. Das gelingt ihr auch eine ganze Weile, bis sie eines Tages auf einen Jungen trifft. Es handelt sich um niemand geringeren als um Trevor Vaughan, den Sohn der Familie, für die Meriel eigentlich nichts als Verachtung übrig hat. Trotz seiner „hohen Herkunft“ freunden sich die Beiden an und jagen gemeinsam, bis Meriel wegen Wilderei gefangengenommen und nach Queensland, Australien, verschifft wird.

Hat Trevor sie verraten?

„Unter dem Kauribaum“ ist der neue historische Roman der Autorin Rebecca Maly, in welchem sie ihre Leser nach Australien führt. Wie auch schon in ihren vorherigen Büchern, sind die Handlungsorte und Charaktere sehr schön angelegt und man kann sich problemlos direkt in die Geschichte fallen lassen.

Die Autorin schafft es gleich im Prolog, dass man sich zu Meriel hingezogen fühlt, befindet sie sich doch in einem Gefängnis in Wales und wird gerade – gemeinsam mit ihren Mitgefangenen – für den Transport nach „Terra Australis, Van Diemen‘s Land“ ausgewählt. Ein Ort, an dem sich seit einiger Zeit das Empire der Verbrecher, Bettler und Diebe entledigt. Wenn sie später ihre Strafe verbüßt hat, gibt es für Meriel (und alle anderen Frauen) jedoch nur zwei Möglichkeiten, das Gefängnis zu verlassen: Entweder sie wird von ihrem Vormund abgeholt oder sie heiratet. Dass Meriel von ihrem Vormund im fernen Australien abgeholt wird ist unwahrscheinlich, also bleibt ihr nur die Heirat mit einem Fremden. Das bedeutet aber auch, dass eine Rückkehr zu ihrer Familie ausgeschlossen ist.

Rebecca Maly beschreibt sehr eindrucksvoll die lange und beschwerliche Überfahrt mit dem Schiff nach Australien und, dass Frauen nicht unbedingt zusammenhalten, auch wenn sie das gleiche Schicksal teilen. Sie beschreibt den harten Arbeitsalltag im australischen Gefängnis und die Zeit bis Meriel und der Viehtreiber Dylan Ayreheart sich treffen und heiraten.

Man darf nicht vergessen, dass Meriel in einem australischen Gefängnis ist … wie lernt man dort einen Mann kennen, den man heiraten möchte? Ganz einfach – ein heiratswilliger Mann klopft an die Pforte des Gefängnisses und sucht sich eine Frau aus – dann wird geheiratet und man verlässt mit seinem neuen Ehemann das Gefängnis, in ein neues und unbekanntes Leben.

Meriel hat es jedoch ganz gut getroffen. Ihr Mann hat ein kleines Häuschen und etwas Land auf der Farm, auf der er als Viehtreiber arbeitet. Dylan ist nett, liebevoll, zuvorkommend, aufmerksam, er trinkt nicht, schlägt seine Frau nicht und mit dem ersten Kind scheint ihr Glück perfekt. Bis …. ja, bis Dylan einen Unfall hat. Anschließend ist nichts mehr, wie es war.

Die Geschichte wird von der Autorin in 2 voneinander getrennten Handlungssträngen erzählt.

Als Leser weiß man, dass Meriel wegen Wilderei verurteilt und deportiert wurde, man weiß aber nicht, wer sie verraten hat. War es tatsächlich Trevor? Echt jetzt? Nein, das glaube ich nicht! Aber wer könnte es sonst gewesen sein? Die Antwort zu dieser Frage gibt es erst ganz zum Schluss, denn Trevor und Meriel treffen sich natürlich irgendwo im Nirgendwo wieder. In diesem Strang erfährt der Leser also rückwirkend – aus Sicht einer Dritten Person – was damals passiert ist bis zum Zeitpunkt der Verhaftung.

Im zweiten Strang begleitet der Leser Meriel im Hier und Jetzt, also quasi vom Zeitpunkt der Verhaftung über ihre Zeit im Gefängnis, ihr Leben als Ehefrau auf der Rinderfarm bis zu ihrem Wiedersehen mit Trevor Vaughan, das viele Jahre später stattfindet. Auch diese Handlungen werden aus Sicht einer Dritten Person beschrieben.

Alle Charaktere wurden von Rebecca Maly liebevoll angelegt und ausgearbeitet. Sie handeln und verhalten sich entsprechend der damaligen Zeit und jeder für sich wächst an seinen Aufgaben, oder resigniert.

Erfreulicherweise wurden in diesem Australien-Roman keine blutigen Kämpfe zwischen weißen Siedlern und Ureinwohnern ausgetragen. Diese Dinge gehören zur unerfreulichen Geschichte Australiens dazu, aber es ist auch angenehm, wenn es nicht thematisiert wird.

Der Schreibstil ist, wie bei Rebecca Maly gewohnt, angenehm und flüssig und ich habe das Buch in kürzester Zeit gelesen. 

Wieder mal ein schöner historischer Roman aus der Feder von Rebecca Maly, mit dem man für ein paar Stunden in die australische Wildnis abtauchen kann.