Rezension

Im Sog der Vergeltung

SOG - Yrsa Sigurdardóttir

SOG
von Yrsa Sigurdardottir

Bewertet mit 5 Sternen

          Von Yrsa Sigurdardóttir las ich bereits den außerordentlich fesselnden Thriller „DNA“. Genau wie dieser blieb auch „SOG“ spannend bis zum letzten Kapitel, bis zur letzten Seite! Beide Bände sind in sich abgeschlossene Fälle und können unabhängig voneinander gelesen werden. Über die gesamten 444 Seiten faszinierte mich die Autorin mit ihrer bildhaften Sprache. Sie bringt Vergleiche, die man gut nachvollziehen kann. Typisch bei ihr ist der mehrgliedrige Erzählstrang, der von Kapitel zu Kapitel wechselt. Wiederum fielen mir die ausgefallenen, grausamen Tötungsmethoden auf, wie schon beim Vorgängerband. Trotzdem verliert sich Yrsa nicht in grausame Details. Sie findet andere Möglichkeiten die perversen Umstände der Taten zu beschreiben. Vorausgesetzt, dass das Kopfkino funktioniert!

Handlung:
Es ist September im Jahr 2004, in Island. Vaka Orradóttir wartet frierend im Schatten des Schulhofes auf ihren Vater, der sie mit dem Auto abholen wollte. Es war für das achtjährige Mädchen der erste Tag in der neuen Schule. Da der Vater nicht kommt, sie kein Geld zum telefonieren hat, geht sie mit einem schüchternen, schlecht gekleideten Mädchen aus ihrer Klasse in ihr desolates, düsteres Wohnhaus. Der Prolog endet mit der Vermißtenmeldung Vakas. Was ist mit ihr passiert? Warum wird sie vermißt?
12 Jahre später – 2016 –  bei der Kripo Reykjavik:
Huldar, der Kommissar, der in Ungnade gefallen ist, befasst sich mit Schulaufsätzen, die in einer Art Zeitkapsel aufbewahrt wurden. Es ist eine eher nebensächliche Beschäftigung für ihn. Neuntklässler sollten zehn Jahre zuvor das Island des Jahres 2016 beschreiben. Zukunftsvisionen junger Menschen! Einer der Schüler sagte Morde voraus und benennt die Initialen der Betroffenen. Huldar will den inzwischen jungen Mann finden und erhofft sich die Hilfe von Freya, die im Kinderhaus arbeitet. Er möchte von ihr, der Psychologin, professionellen Rat. Doch die Beiden haben ein zwiespältiges Verhältnis zueinander nach einem gründlich mißlungenen Date. Werden sich Kommissar und Psychologin wieder zusammenraufen und an einem Strang ziehen?
Dann wird Huldar von seiner Chefin Erla noch zu einem anderen Fall hinzugezogen, in dessen Verlauf zwei abgetrennte Hände gefunden werden. Wo ist der dazugehörige Körper?

Fazit:
Diese drei Handlungsstränge zusammengenommen ergaben für mich erst einmal überhaupt keinen Sinn. Genauso erging es den Ermittlern. Dazu kommt: Akten sind verschwunden, Dateien wie in Luft aufgelöst, Leute, die befragt werden leiden an Gedächtnisverlust. Zu Beginn läßt wirklich Sisyphos grüßen. Es ist kein roter Faden zu erkennen. Der Titel „Sog“ ist gut gewählt. Immer mehr fühlte ich mich ins Geschehen hineingezogen.
Die privaten Querelen des sympathischen, leicht neben der Kappe stehenden Huldar mit der zu zögerlichen, nachdenklichen Freya lockern die Abläufe um die kriminalistische Ermittlungsarbeit auf.

Die Auflösung der Geschichte ist in höchstem Maße unfassbar, macht betroffen und nachdenklich. Ich empfand den Thriller als gesellschafts- und sozialkritisch. Eine beispiellose Verkettung von selbstherrlichem Amtsmißbrauch, gepaart mit gravierenden Versäumnissen in öffentlichen, sozialen Bereichen, mit ignoranter Verantwortungslosigkeit, Karrierismus und arroganter Überheblichkeit führte letztendlich zur Katastrophe. Ich kann Huldars Ausraster am Ende des Buches verstehen und hoffe, dass er dafür nicht wieder büßen muss. Auf das nächste Buch von Islands erfolgreichster Krimiautorin freue ich mich.

Für einen hervorragenden Thriller vergebe ich fünf von fünf Sternen und die Lese- sowie Kaufempfehlung.