Rezension

In der Beschreibung ihrer einzelnen Charaktere ist sie tiefgründig, sie schafft eine Atmosphäre, in der sich der Leser quasi mittendrin wähnt

Die Lichter unter uns - Verena Carl

Die Lichter unter uns
von Verena Carl

Bewertet mit 5 Sternen

Verena Carl, Die Lichter unter uns, S. Fischer 2018, ISBN 978-3-10-397363-1

 

Nicht immer, aber nach etlichen Schicksalsschlägen in den letzten Jahren relativ oft, werden in meiner Familie die Fragen gestellt, die diesen Roman durchziehen wie ein roter Faden:

Was sind eigentliche meine Träume von meinem Leben
Wie habe ich es mir irgendwann vorgestellt und wie sieht es heute aus
Gibt es auch ein gelungenes Leben für mich, für uns, obwohl wir viel mehr als die Hälfte schon hinter uns haben
Warum geht es den anderen eigentlich meistens besser als mir

„Die Lichter unter uns“ erzählt auf hohem sprachlichem Niveau eine Geschichte von Träumen, Lebensvorstellungen, Krisen und Neuanfang.

Verena Carl erzählt in diesem neuen Roman von Anna. Sie verbringt mit ihrem Mann Jo und den beiden Kindern Judith (10) und Bruno (6) einen zweiwöchigen Urlaub in Taormina auf der italienischen Insel Sizilien. Als Anna und Jo vor langer Zeit während ihrer Hochzeitsreise dort waren, waren sie glücklich. Alles schien romantisch, die Zukunft lag offen vor ihnen.

Voller Geldsorgen und unklaren Zukunftsaussichten erlebt Anna nun, viele Jahre später, die Tage dort und ihr Lebensgefühl als brüchig. Sie schwankt von ganz innen her.

 

Als sie  Alexander kennenlernt, einen Mann, der ein aufregendes und für Anna total interessantes Leben führt, ein Leben, von dem sie immer geträumt hatte, wird Annas Schwanken existentiell. Anna sieht nicht dessen familiären und existentielle Probleme und spürt nicht, dass auch umgekehrt Alexander sie für ihre Familie bewundert.

 

Die Zweifel am eigenen Leben werden mit jedem Tag mächtiger. Werden die nächsten sieben Tag alles verändern? Wie werden die Protagonisten  aus dieser Begegnung hervorkommen? 

 

Verena Carl lässt die Antwort auf diese Fragen, die sich der Leser schon bald stellt, offen, und ist damit überaus realistisch. Denn all das, was bei den Menschen, die sie genau und empathisch beschreibt, aufbricht, wird nicht schnell zu einer Lösung führen.

 

Abwechselnd aus der Sicht der jeweiligen Protagonisten beschrieben, lässt Verena Carl die Handlung vorantreiben. In der Beschreibung ihrer einzelnen Charaktere ist sie tiefgründig, sie schafft eine Atmosphäre, in der sich der Leser quasi mittendrin wähnt. Nicht nur im schönen Urlaubsort Taormina, sondern in den Seelenlandschaften der Protagonisten selbst.

 

Denn die eingangs gestellten Fragen sind nicht wenigen Menschen bekannt. Ich glaube, dass sie zumindest zeitweise schon jeden gequält haben. Deswegen zwingt der Roman den Leser auch an vielen Stellen zur Auseinandersetzung mit seinem eigenen Leben, seinen eigenen Bedürfnissen und Sehnsüchten.

 

Er lässt auch deshalb den Leser nicht los, und beschäftigt ihn lange nach Ende der Lektüre weiter.