Rezension

In kleinen Schritten zur Wahrheit

Dunkelschwester - Kara Thomas

Dunkelschwester
von Kara Thomas

Bewertet mit 3.5 Sternen

Lori war das letzte Opfer des Ohio-River-Monsters. Durch die Zeugenaussagen ihrer damals acht Jahre alten Cousine Callie und deren Freundin Tessa konnte Wyatt Stokes als mutmaßlicher Serienkiller verhaftet und für den Mord an Lori verurteilt werden. Fast zehn Jahre später ist die inzwischen 17-jährige Tessa zurück in ihrer Heimatstadt Fayette - und nur Callie ahnt, wie groß die Schuldgefühle sind, die Tessa quälen. Denn, um Loris vermeintlichen Mörder hinter Gitter zu bringen, haben die beiden Mädchen damals gelogen. Als jetzt erneut ein junges Mädchen ermordet wird, beginnen Callie und Tessa auf eigene Faust nach dem Killer zu suchen, um ihren Fehler wieder gut zu machen. Rätselhaft ist, welche Rolle Tessas vor Jahren verschwundene Mutter und ihre Schwester Joslyn dabei spielen.

Vor allem im Vergleich mit einigen Erwachsenenkrimis, die ich in letzter Zeit gelesen habe, hat mir dieser Jugendthriller ziemlich gut gefallen. Das Buch ist in meinen Augen nicht perfekt. "Dunkelschwester" entwickelt sich wirklich sehr, sehr langsam. Viele Puzzlestücke aus Tessas Vergangenheit hätte man zügiger und übersichtlicher einfließen lassen können. Auch die Nachforschungen gestalten sich teilweise nervenaufreibend erfolglos und stockend. Man braucht schon eine Vorliebe für solch detailreich erzählten Geschichten.

Trotzdem bin ich in einen kontinuierlichen Lesesog geraten. Ich mag es ganz gerne, wenn man Protagonisten bei ihren kleinen, nachvollziehbaren Ermittlungs-Schritten begleiten kann. Positiv kam hier noch eine Abweichung vom typischen Jugendbuchschema dazu. Bei Kara Thomas gibt es mal keine Liebe, keine schillernde Oberschicht, ja nicht einmal eine gut situierte Mittelschicht. Die meisten Figuren sind kaputte Gestalten - Säufer, Schläger, Kriminelle. Auch Hauptfigur Tessa hat keine perfekte Familie. Ihr Vater ist gerade erst im Knast gestorben, Mutter und Schwester sind untergetaucht. Als Protagonistin hat sie mir gut gefallen. Sie ist ein heller Kopf und trotzdem nur ein normales Mädchen, dass sich in Ideen verrennt und jede Menge seelischen Ballast mit sich herumträgt. Sie besitzt einen tollen trockenen Humor, der mich öfter breit grinsen ließ.

Tessas Beziehung zu Callie hätte noch etwas mehr Platz verdient, wirkt aber insgesamt sehr authentisch. Ihre Freundschaft wird weder romantisiert, noch verschwendet Kara Thomas Energie auf gekünstelten Teeniestress. Auch da, wo es ums Abgründige vieler Nebenfiguren geht - Alkoholsucht und familiäre Gewalt - wirkt die Darstellung realistisch. Sie wird aber nicht bis ins Kleinste durchexerziert. Es ist und bleibt ein Jugendbuch.

Die Geschichte hat eine gute Dynamik, ein lebendiges Wechselspiel zwischen Neben- und Hauptpersonen, so dass das Kaff Fayette mit all seiner Tristesse in Bildern vor dem Leserauge aufblitzt. In einem leichten, flüssigen Stil wird sich viel dem Beziehungsgeflecht der Figuren gewidmet, was sich spätestens in der Auflösung als absolut unerlässlich erweist. Ab und zu verfranst sich Kara Thomas dabei leider. Einige unrelevante Zipfel der Handlung hätte sie für meinen Geschmack nicht unbedingt verfolgen müssen und sich stattdessen mehr auf das Wesentliche konzentrieren sollen. So wirkt die Story stellenweise etwas ziellos und die Spannung zieht erst auf den letzten 100 Seiten richtig an.

Am Ende kommt es dann - wie so oft - etwas dicke und der Plot wirkt fast schon gehetzt gegenüber der ruhigen Spannung des Hauptteils. Nicht jede Erklärung (vor allem die lange Abwesenheit der Schwester) schien mir auch plausibel. Leicht zu erraten sind die Hintergründe allerdings nicht. Es ist eine Mischung aus klassischem Thrill und Familiendrama. Mit einer größeren Straffung und weniger Hektik im Finale wäre das Buch für mich ein Kandidat für eine 5-Sterne-Wertung. Alles in allem ein recht erwachsener Jugendkrimi, in dem es auf mehreren Ebenen um die zerstörerische Kraft von Lügen geht.