Rezension

In meinen Augen ziemlich problematisch

Für eine Nacht sind wir unendlich - Lea Coplin

Für eine Nacht sind wir unendlich
von Lea Coplin

Bewertet mit 2 Sternen

Obwohl ich Protagonistin Liv sehr sympathisch und mit ihren Selbstzweifeln auch sehr authentisch fand, haben mir weder Love Interest Jonah mit seiner herablassenden Art noch die allgemeine Darstellung von Frauen in diesem Buch gefallen. Für ein Jugendbuch fand ich es ziemlich problematisch, da kann selbst ein cooles Setting auf dem Glastonbury Festival nicht mehr helfen.

Ich liebe Festivals. 2020 ist das erste Jahr seit langem, in dem ich kein einziges Festival und nicht einmal ein Konzert ohne feste Platzzuweisungen besuchen werde. Umso mehr freute ich mich über das Rezensionsexemplar „Für eine Nacht sind wir unendlich“ von Lea Coplin, verlost von Lovelybooks und dem dtv-Verlag. In diesem YA/NA-Roman begleiten wir Liv und Jonah beim Glastonbury Festival in England. Jonah ist mit seinem Freundeskreis samt Ex-Freundin angereist, während Liv nicht als Gast auf dem Festival unterwegs ist, sondern ihrer Tante mit deren Food Truck aushilft. Erhofft habe ich mir eine süße Liebesgeschichte, die Leichtigkeit, Sorglosigkeit und Festivalflair verbreitet. Leider wurden diese Hoffnungen nicht erfüllt.

 

Die Protagonistin Liv ist eine sehr sympathische junge Frau mit allerlei Unsicherheiten, die ich erst einmal positiv hervorheben will. Ihre Selbstzweifel, ihr innerer Kritiker und ihre Vergleiche mit anderen Frauen waren sehr authentisch, dabei aber nicht aufdringlich eingearbeitet. Trotz all ihrer Zweifel, vor allem an ihrem Aussehen und Gewicht, hat sie eine starke Persönlichkeit, kennt ihre Werte für eine 18-Jährige schon recht gut und verteidigt diese im Laufe des Buches auch gegenüber Jonah.

 

Und genau Jonah, bzw. der Umgang der Autorin mit ihm, ist es, der mich an diesem Buch so sehr gestört hat, dass ich nur 2 Sterne vergeben kann. Er ist absolut von sich eingenommen und hat natürlich ein tiefes Geheimnis, welches er nicht einmal seinem besten Freund anvertrauen kann. Genau dieses soll vermutlich sein herablassendes und wenig rücksichtsvolles Verhalten gegenüber seinen Mitmenschen und vor allem Frauen entschuldigen, was für mich vollkommen daneben und aus der Klischeekiste gegriffen war (und nein, seine Erlebnisse rechtfertigen sein Verhalten natürlich in keinster Weise!). Bis auf Liv denkt er über fast jede Frau, der er auf dem Festival begegnet, abschätzig. Und dabei ist es ganz egal, ob es zufällig platzierte „gackernde, betrunkene“ Engländerinnen sind, sein ein paar Stunden später schon gar nicht mehr so sexy erscheinender One-Night-Stand (kein Spoiler, das Buch beginnt direkt damit, wie Jonah Sally im Zelt zurücklässt mit der Ausrede, er müsse nur mal aufs Klo…) oder seine „dürre, schmallippige“ Ex-Freundin Annika, an der er kein einziges gutes Haar lässt.

 

Generell hatte ich ein großes Problem mit der Darstellung von Frauen in diesem Buch. Liv soll nahbar wirken, da sie gerade keine Modelmaße hat, was ich nach wie vor extrem gut finde. ABER alle schlanken weiblichen Figuren mit Adjektiven wie „dürr“ und „sauer von den wochenlangen Buttermilchdiäten“ zu beschreiben und sie dazu zumeist als oberflächlich, egoistisch, zickig und hohl darzustellen, ging für mich gerade in einem Jugendbuch gar nicht. Und obwohl Livs offensichtliches Problem mit ihrem Körper, das Kalorienzählen und der Verzicht auf Essen sehr authentisch beschrieben wurden und ich es gut finde, dass dieser Aspekt überhaupt angesprochen wurde, hat die Autorin eines Jugendbuches es auch hier verpasst, auf einen gesunden Umgang mit Ernährung und Körper hinzuweisen. Sie hätte bloß Livs Weg der Heilung andeuten oder zumindest hinten im Buch weiterführende Kontakte oder Links angeben müssen, an die man sich wenden kann, wenn man in ähnlichen Denkmustern wie Liv gefangen ist.

 

Eingangs habe ich meine Festivalliebe erwähnt, deswegen hatte ich mir auch noch mehr Festivalatmosphäre erhofft. Die beiden schauen sich keine Band komplett an, wobei gerade Musik so sehr verbinden kann und ich mir etliche romantische Situationen vor einer Bühne vorstellen kann. Das hat mich leider sehr enttäuscht. Auch die Zeltplatzromantik kam sehr kurz, viel mehr wurden wirkliche Attraktionen (Stichwort Aussichtspunkte) auf und um das Festivalgelände herum in den Fokus gerückt.

 

Da ich also durchweg entweder wütend auf Jonahs Gedanken oder enttäuscht über das verschenkte Potential war, ist es kein Wunder, dass ich die Chemie zwischen den beiden Protagonisten überhaupt nicht gespürt habe. Ich habe mir ständig nur gewünscht, dass Liv und jede andere Frau von Jonah verschont bleibt. Vom Stil her fand ich das Buch in Ordnung. Es ist sehr umgangssprachlich geschrieben und einige Phrasen wurden mir zu oft wiederholt, aber ich kam schnell und flüssig durch das Buch durch.

 

Insgesamt bin ich leider sehr enttäuscht darüber, wie Jonahs Charakter modelliert wurde. Anfangs hatte ich Hoffnungen, dass Liv ihm den Spiegel vorhält und er sich vielleicht zum Besseren ändert. Zwar gibt sie ihm in einer Szene auch Kontra, wofür ich sie sehr bejubelt habe, allerdings bleibt es bei einer Szene und natürlich verändert diese auch nicht Jonahs Denkweisen. Das gesamte Buch war mir in mehreren Hinsichten zu problematisch und erhält daher leider auch keine Leseempfehlung von mir.