Rezension

In seinen Bann ziehend

Darkmere Summer - Helen Maslin

Darkmere Summer
von Helen Maslin

Bewertet mit 5 Sternen

"Darkmere Summer" ist ein wunderbarer Jugendroman aus dem Mysterybereich, dem es mühelos gelingt, nicht ins "Groschenromanheftige" abzugleiten, sondern der die erzählte Geschichte im hineingezogenen Leser sogar noch ein wenig nachhallen lässt.

"Darkmere Summer" ist grundsätzlich kein besonders überraschender Mystery-Roman; Geschichten rund um Spukschlösser folgen weithin doch demselben Muster; wobei "Darkmere Summer" sich nun insofern abhebt als dass es sich hierbei speziell um einen Jugendroman handelt, während in den meisten Erzählungen doch erwachsene Erben mit einem ihnen bis dahin unbekannten Schloss überrascht werden und dort von den Geistern ihrer Vorfahren und deren Vergangenheit(en) konfrontiert werden: In "Darkmere Summer" ist der Schüler Leo jüngst zum Erben von "Darkmere Castle" geworden, einem erst Anfang des 19. Jahrhunderts im schlossähnlichen Stil erbauten Anwesens, hoch über den Klippen, direkt an der Küste, abseits gelegen. 
Doch Hauptfigur in "Darkmere Summer" ist nicht der reiche Erbe Leo, sondern seine Mitschülerin Kate, der ein Stipendium den Besuch derselben elitären Privatschule ermöglicht und die von Leo eingeladen wird, zusammen mit ihm und einigen wenigen weiteren Freunden und Mitschülern die Ferien im längst verlassenen, leerstehenden Darkmere Castle zu verbringen: Kate tritt in diesem Roman als hauptsächliche Ich-Erzählerin auf, die die Gegenwart abbildet. 
Später wird kapitelweise zu Elinor gewechselt, die als junges Mädchen, aus gutem Hause stammend, frischverheiratet auf das neuerbaute Darkmere Castle gekommen war, dort aber kein glückliches Zuhause fand (dass sie dort "die Hölle auf Erden erlebte", wie die Kurzbeschreibung des Romans derzeit verkündet, mag ich in dieser Extreme allerdings nicht bestätigen, da es mir etwas zu übertrieben erscheint, auch wenn ihr zugegeben kaum Schönes widerfuhr): Auch Elinor tritt in der ersten Person Singular auf und erzählt von ihren damaligen Erlebnissen.

Als Leser wird man bereits frühzeitig informiert, dass auf dem Schloss ein Fluch lasten soll, dereinst von der Frau des Hausherrn ausgesprochen, die diesen und all seine männlichen Nachkommen verwünscht haben sollte; Leo begegnet diesem Glauben jedoch mit Sorglosigkeit, auch wenn er bestätigt, dass seine männlichen Vorfahren oftmals tragisch in der Schlossnähe ums Leben kamen oder dort wie einige andere Menschen auch spurlos verschwunden seien. 

Der Aufenthalt der Jugendlichen im Schloss wird jedoch weniger von dessen bedrückender Atmosphäre und seiner Historie beherrscht, sondern von Leo, der sich besonders aufspielt, sich zudem manipulativ und ignorant verhält, so dass Kate sich in seiner Nähe immer weniger wohlfühlt: Sie selbst ist zunächst auch als Einzige an der genauen Geschichte Darkmere Castles interessiert und versucht, nachdem sie alte Aufzeichnungen von Elinor gefunden hat, auch nachzuvollziehen, wie es war, als das Anwesen tatsächlich noch bewohnt wurde. 
Hier gewinnt Elinor auch bald die Oberhand über die Handlung und man bekommt so vermittelt, dass Kate eben mehr von "damals" fasziniert ist als dass sich für ihren eigentlichen Urlaub begeistern kann; selbst fand ich Elinors Ausführungen auch interessanter als dass grad Leo eigentlich ständig nur Party im Kopf hatte. Das war irgendwann klar und sonst passierte im gegenwärtigen Teil der Handlung eingangs nicht viel, auch wenn der Fluch immer wieder betont wurde, so dass Leo ständig von einer gewissen Gefahr, dass ihn demnächst auch der Fluch treffen könnte, umgeben war; ich rechnete also bereits sehr früh mit einem grossen Showdown, der sich auch mit jeder Seite weiter zu nähern schien.
Allerdings: Leo begab sich häufig bereitwillig in absolut gefährliche Situationen, die auch ohne Fluch jederzeit sehr, sehr schlecht ausgehen könnten; von daher war durch Leos ständiges Kopf-und-Kragen-riskieren ohnehin eine konstante Grundspannung vorhanden. 

Den Mysteryanteil fand ich hier sehr ausgewogen: Zwar sahen einige der Jugendlichen unabhängig voneinander eine weibliche Figur, von der ein Anwohner behauptete, bei ihr handle es sich um einen ruhelosen Geist, dessen Anblick für die Menschen in der Gegend längst Alltag geworden wäre und nicht nur Kate fühlte sich im Schloss oftmals unbehaglich, aber in letzterer Hinsicht wurde auch immer wieder betont, dass das Schloss eben schon so lange leerstand, sich niemand um das Anwesen kümmerte und Muffigkeit von der fehlenden Belüftung, Geräusche von arbeitendem Holz oder Kleintieren im Gebälk etc. stammen könnte. Könnte. Denn nichtsdestotrotz kommt immer wieder das Gefühl auf, diese oder jene Wahrnehmung sei nicht rational zu begründen und Kate nimmt beispielsweise auch immer wieder einen stechenden Zitronengeruch wahr, den sie nichts und niemand zuordnen kann. 
Persönlich hatte ich allerdings dennoch nie das Gefühl, es müsse unbedingt deutliche Spukerscheinungen im Schloss geben; die Geistererscheinung konnte ich mir zwar nicht erklären, aber für alles Andere meinte ich, dass es dafür doch auch eine rationale Erklärung geben müsse. (Allerdings habe ich mich auch schon seit Langem mit [vermeintlichen] paranormalen Erscheinungen befasst und weiss daher, welche Gründe es auch für unvermittelt auftretende Gerüche etc. geben kann; da ist es wahrscheinlich, dass grad die jugendliche Zielgruppe, der dieses Wissen fehlt, von vornherein fest daran glauben kann, dass es hier tatsächlich spukt.)
Ich fand Darkmere Castle nun auch weitaus mehr bedrückend als beängstigend, konnte aber nachvollziehen, wenn jemand der Figuren, ob nun Kate oder einer der anderen "Feriengesellschaftler" sich fürchtete.

Die Stimmung innerhalb der Handlung wurde absolut authentisch von der widergegebenen Erzählung widergespiegelt; und grade den Lebensbericht Elinors fand ich absolut faszinierend und eben auch traurig, da das Leben im Darkmere-Schloss sie sehr veränderte. Da wollte ich übrigens unbedingt wissen, ob es tatsächlich Elinor gewesen sein sollte, die dereinst den Fluch ausgesprochen hatte, sofern dieser tatsächlich je gesagt worden war; von Anfang an sprach zwar Einiges für Elinor als Urheberin dieser Aussage, aber doch auch so viel dagegen, nicht zuletzt, da dies ihrem Naturell absolut zu widersprechen schien. 
Die Frage nach dem Hintergrund des vorgeblichen Fluchs fand ich da auch noch ein wenig spannender als die Frage, ob er denn dann alsbald auch Leo ereilen würde.

Ich habe "Darkmere Summer" gierig direkt an einem Stück ausgelesen und würde diesen Roman insbesondere allen 14-16jährigen Mädchen anraten, die auf der Suche nach etwas Grusel, etwas Thrill uind etwas Historie und ohne auffällige Alptraumgefahr sind. Persönlich bin ich dieser Altersgruppe allerdings auch schon längst erwachsen, aber in besagtem Alter wäre ich sehr angetan von "Darkmere Summer" gewesen; immerhin bin ich es ja auch heute noch! ;)