Rezension

informativ in historischem Setting

Die Sammlerin der verlorenen Wörter -

Die Sammlerin der verlorenen Wörter
von Pip Williams

Bewertet mit 5 Sternen

Pip Williams tritt laut Klappentext an, mit ihrem Roman "Die Sammlerin der verlorenen Wörter" "die vergessene Geschichte hinter dem berühmtesten Lexikon der Welt" aufzudecken. Allerdings führen Titel und Klappentext ein wenig in die Irre - ja, die hauptamtlichen Mitarbeiter und Herausgeber des Lexikons sind alles Männer, und manche Begriffe werden auch aussortiert, weil sie nicht ordentlich belegbar sind, und ja, das sind häufig Begriffe, die eher für Frauen relevant sind - aber ich konnte dem Text nicht entnehmen, dass diese Wörter "achtlos verworfen" wurden. Esme, die Protagonistin, fängt an, ihre eigene Wörter zu sammeln, und nutzt dabei auch Quellen, die niemals als gedruckte Quellen vorliegen werden.

Der Roman teilt sich in vier Teile - Prolog (1886), Teil 1 (1887-1896, Batten - Distrustful), Teil 2 (1897-1901, Distrustfully - Kyx), Teil 3 (1902-1907, Lap - Nywe), Teil 4 (1907-1913, Polygenous - Sorrow), Teil 5 (1914-1915, Speech - Sullen) Teil 6 (1928, Wise- Wyzen) und schließlich noch ein Epilog (1989). Das Buch wird durch zwei Zeitleisten abgerundet - eine zum Oxford English Dictionary, eine zu historischen Ereignissen.

Als roter Faden zieht sich die Arbeit am Oxford English Dictionary durch das Buch, aber da konsequent Esmes Perspektive verfolgt wird (die man als Leser vom Kindesalter bis  zur erwachsenen Frau begleiten kann), werden die im abgedeckten Zeitrahmen wichtigen historischen Ereignisse, wie die Suffragettenbewegung und der 1. Weltkrieg, aus Frauensicht mit eingewoben. Gerade der Kampf ums Wahlrecht nimmt eine besondere Rolle im Buch ein, werden doch in diesem Zusammenhang viele verschiedene Frauenbiographien in den Blick genommen, priviligierte und auch nicht privilegierte, solche, die Arbeit haben, und solche, die kaum über die Runden gekommen. Esme als "Gelehrtentochter", die ohne Mutter aufwächst, ist hier eine geschickt gewählte Figur, hat sie dadurch doch Kontakte in vielen gesellschaftlichen Bereichen. 

Und ja, auch die Liebe kommt vor - doch Liebe heißt ja nicht unbedingt "happily ever after". 

Das Erzähltempo ist anfangs eher langsam, die Geschichte bleibt aber lange eher distanziert. Erst gegen Ende kamen dann auch Gefühle ins Spiel, die es mir ermöglichten, eine Art Beziehug zu Esme aufzubauen. 

Alles in allem ein Roman, der die Zeit vom Ende des 19. Jahrhunderts bis zum Anfang des 20. Jahrhunderts aus Frauensicht beleuchtet und damit die Bevölkerungsgruppe in den Blick nimmt, für die sich dann wohl am meisten geändert hat. Und gleichzeitig lernt man so einiges über die Arbeit, die notwendig ist, um ein Lexikon entstehen zu lassen. Die Entscheidung der Übersetzerin, hier die englischen Begriffe stehen zu lassen, halte ich für sehr gelungen.

Insgesamt eine klare Empfehlung für historisch Interessierte, die neugierig auf Geschichte aus Frauensicht sind.

Vielen Dank, dass ich in der Leserunde mitlesen konnte.