Rezension

Inhaltlich habe ich anderes erwartet

Das Leuchten in mir - Grégoire Delacourt

Das Leuchten in mir
von Grégoire Delacourt

Bewertet mit 3 Sternen

Ein Neuanfang ohne Beginn

„Die, die uns Lieben, verlassen uns, aber andere kommen.“

Inhalt

Für Emma, die eigentlich ein glückliches, zufriedenes Leben führt, ist die Zufallsbegegnung mit einem fremden Mann in einem Café von schicksalhafter Bedeutung, denn plötzlich weiß sie, was ihr fehlt, die Spannung, das Vergnügen, die schier unglaubliche Kraft, die durch Verlangen und Lust entsteht. Nach 18 Ehejahren hat sie sich selbst aus den Augen verloren und sieht nun die Chance gekommen, noch einmal von vorn anzufangen, aus ihren Verpflichtungen auszubrechen und sich wie eine sehr junge Frau in die Höhenflüge der Liebe zu stürzen. Sehr konsequent und ehrlich beschreitet sie diesen Weg, in dem sie sowohl ihrem Mann als auch den Kindern mitteilt, dass sie die Familie verlassen wird, um wieder glücklich sein zu können. Mit Alexandre wird ihr zweites Leben beginnen, davon geht sie aus, als sie voller Sehnsucht zum verabredeten Zeitpunkt auf ihren Geliebten wartet, doch der kommt nicht, er kann es nicht mehr …

Meinung

Nachdem ich mit großer Begeisterung vor einigen Jahren „Die vier Jahreszeiten des Sommers“ aus der Feder des französischen Autors Gregoire Delacourt gelesen habe, wollte ich unbedingt ein weiteres Buch von ihm kennenlernen und die Thematik des Ehebruchs steckt prinzipiell so voller Emotionen, dass ich mir fast sicher war, dieses Buch zu mögen. Doch im Grunde genommen wurde meine hohe Erwartungshaltung hier kaum erfüllt, weil die eigentliche Geschichte weder das Verlassen ist noch der Beginn einer Romanze. Das was zwischen Emma und Alexandre passiert ist nur der Hauch einer Verheißung auf eine gemeinsame Zukunft voller Glück, die jedoch niemals beginnt. Natürlich können sich dann die Gedanken der Protagonisten nicht mit den Folgen beschäftigen, wenn es eigentlich gar keine gibt. Deshalb möchte ich alle warnen, die eine derartige Story erwarten – sie ist hier nicht literarisch verarbeitet worden.

Trotzdem gelingt es dem Autor eine intensive, teils philosophische Geschichte zu Papier zu bringen, die mit Begriffen wie Wahrnehmung, Sehnsucht, Verbindlichkeit und gesundem Egoismus spielt. Es sind mehr die inneren Gedankengänge, die sich hier als zentrales Motiv entwickeln: eine Frau, die ein Resümee zieht über ihr Leben, ihre Wertvorstellungen und das Konstrukt ihrer Familie, über die glücklichen Tage der Vergangenheit, die ungewisse Zukunft und die Chance endlich wieder in der Gegenwart zu leben und sich nicht nur von schönen Erinnerungen tragen zu lassen. Und wäre der Text vielleicht dabei geblieben, dann hätten wir Freunde werden können, aber der Autor vollzieht einen weiteren Bruch, als er Emma zurück zu ihrem Mann schickt, zwar nicht als dessen Lebensgefährtin aber hinein in eine Situation voller Drama und Aussichtslosigkeit, denn Olivier kämpft bald um sein Leben, nachdem ihn der aggressive Blutkrebs erneut heimsucht. 

Große Teile des Buches widmen sich dann den schweren Stunden mit einem Todkranken, mit dem Emma zwar ein halbes Leben geteilt hat und den sie im Inneren natürlich noch Herzenswärme entgegenbringt, den sie aber nicht mehr so liebt, wie es vielleicht sein sollte, doch daran trägt nicht die Krankheit Schuld sondern ein fremder Mann und Emmas Verlangen. Auf den gut 200 Seiten war mir das eindeutig zu viel selbstverschuldetes und auferlegtes Drama – die Geschichte an sich hat viele gute Ansätze, lebt durch zahlreiche intensive Gedanken und lässt das Porträt einer belasteten Familie lebendig werden, verfehlt aber eine grundsätzliche Aussage bezüglich der Liebesfähigkeit und der außerehelichen Motivation, die ist hier nur der Aufhänger für eine vollkommen andere Entwicklung als vermutet.

Fazit

Leider kann ich hier nur 3 Lesesterne vergeben, schon der Klappentext weckt falsche Erwartungen und irgendwie fehlt es der Erzählung an Realitätsnähe, weil ein Drama das nächste jagt. Hinzu kommt eine für mich schwierige Protagonistin, die zwar einerseits ihren Wusch lebt, dann aber doch wieder umkehrt, weil sie die äußeren Umstände dazu zwingen, nicht weil sie es so möchte. 

Und letztlich ist da noch dieses Gleichnis mit der Ziege des Monsieur Seguin: weil sie auf der heimischen Wiese nicht glücklich ist, flüchtet sie in die Berge, wie bereits sechs andere Tiere vor ihr. Dort wartet der Wolf auf sie, um sie zu fressen, nach einem mehr oder minder ungleichen Kampf. Auch dies wurde ihr mitgeteilt, hat sie aber nicht davon abgehalten, es allen anderen Ziegen gleichzutun. Am nächsten Morgen ist sie tot – vielleicht ist sie in der Gewissheit gestorben, es probiert zu haben und das hat ihr gereicht, um glücklich zu sein. Welchen Preis wollen wir zahlen für den Rausch der Sinne? Das beantwortet „Das Leuchten in mir“ leider nicht.