Rezension

Ins Leben laufen

Laufen - Isabel Bogdan

Laufen
von Isabel Bogdan

Bewertet mit 5 Sternen

Berührend, befreiend und so intensiv, dass man das Buch für den Rest seines Lebens in sich tragen möchte.

Eine Frau beginnt zu laufen, obgleich ihr der Verlust ihres Partners dafür kaum genug Energie lässt. Anfangs fühlen sich ihre  Beine wie Sandsäcke an, läuft sie zu schnell, gerät aus der Puste, kämpft um das richtige Tempo. Allmählich werden ihre Strecken länger und länger.
Autorin Isabel Bogdan schreibt innere Monologe nieder, die ausschließlich im Laufen entstehen, über einen Zeitraum von über einem Jahr. 
Die Läuferin, Anfang Vierzig, nimmt ihre körperliche Konstitution wahr, die zunächst recht unbefriedigend ist, gleichzeitig entstehen Gedanken in Bezug auf ihren seelischen Zustand. Bei der Entwicklung dieser beiden Komponenten ist der Leser so unmittelbar integriert, wie es das Medium Buch überhaupt leisten kann.
Die Parallelität von physischer und psychischer Bewegung liefert immer wieder neue Metaphern. Das Hinderliche, das Sich-im Kreise-Drehen, ein Sturz finden direkte Entsprechungen. Äußere Wahrnehmungen werden subjektiv empfunden und gefiltert durch die innere Verfassung. 
Als wäre diese Verknüpfung nicht genial genug, hat Bogdan auch den perfekten Schreibstil gefunden. Atemlos, sich in lockeren Assoziationsketten aneinander reihend, finden die Sätze doch stets, oft auf überraschende Weise, zu dem alles dominierenden Punkt zurück, ihrem Schmerz. 
Der muss sich arrangieren, so überwältigend er ist, muss sich dem Laufrhythmus anpassen, umgekehrt funktioniert es nicht. 
Mehr und mehr nimmt der Blick auch auf, was am Weg liegt, nach und nach gelangen Erinnerungen nach oben. Sie denkt, fühlt, reflektiert. Findet Ihre Wut, ihre Trauer, ihren Humor. Dankbarkeit. Spürbar setzt ein zaghafter und fragiler Heilungsprozess ein. 
Diesem Buch gelingt eine unglaublich offene und intensive Auseinandersetzung mit einem der schwersten Themen überhaupt. Und sie gelingt mit ungeheurer Leichtigkeit. So berührend, so befreiend, so schön, dass man das Buch für den Rest seines Lebens in sich tragen möchte.