Rezension

Inspirierende Einladung zum Schreibmuskeltraining

Leben, schreiben, atmen - Doris Dörrie

Leben, schreiben, atmen
von Doris Dörrie

Bewertet mit 4 Sternen

„Wenn wir darüber nachdenken, was wir so denken, schämen wir uns schnell. Und wenn wir uns schämen, können wir schlecht schreiben. Wofür schämen wir uns? Wir schämen uns, dass wir uns anmaßen, über uns selbst zu schreiben, wir schämen uns für unser kleines Leben, für unsere Unzulänglichkeiten, unsere Lügen, unsere enttäuschten Erwartungen an das Leben und an uns selbst. Dieser Scham entkommt man nur, indem man nicht nachdenkt, sondern weiterschreibt…“

Doris Dörrie studierte Theater und Schauspiel in Kalifornien und in New York, entschloss sich dann aber, lieber Regie zu führen. Parallel zu ihrer Filmarbeit (zuletzt der Spielfilm „Kirschblüten und Dämonen“) veröffentlicht sie Kurzgeschichten, Romane und Kinderbücher. Sie lebt in München, unterrichtet dort an der Filmhochschule „creative writing“ und gibt immer wieder Schreibworkshops.

Mit „Leben, schreiben, atmen“ lädt sie zum autobiographischen Schreiben ein. Sie gibt Tipps und kreative Anleitungen und macht gleichzeitig vor, wozu sie den Leser ihres Buches auffordert. Zu Beginn jedes Kapitels gibt sie ein Stichwort vor, zu dem sie auf überaus sympathische Weise über ihr Leben plaudert. Manchmal kommt Doris Dörrie dabei vom Hölzchen aufs Stöckchen, aber das ist durchaus gewollt und wohl auch ein natürlicher Effekt, wenn man frei von der Leber weg schreibt. Sie macht dem Leser vor, wie es geht und gibt am Kapitelende knappgehaltene Erklärungen und Tipps. Und weil sie Lockerheit beim Schreiben in ihren autobiographischen Texten vormacht und ihre Ratschläge nicht dogmatisch daherkommen, fühlt man sich tatsächlich auch in der Lage dazu, ihren anschließenden Aufforderungen zum Schreiben nachzukommen.

So musste ich mich zurückhalten um nicht gleich loszulegen, weil ich das Buch so motivierend empfand. Doch wollte ich es erst zuende lesen, denn „Leben, Schreiben, Atmen“ ist kein Schreibratgeber im eigentlichen Sinne. Dach Buch liest sich flüssig und die Autorin versteht es, Dinge aus ihrem Leben zu formulieren und so zu beschreiben, dass sie anschaulich sind und berühren. So erfährt man nach jedem Stichwort immer ein wenig mehr aus ihrem Leben, so dass sich am Ende ein ehrliches und authentisches Gesamtbild ergibt, auch wenn die Fragmente nicht in einer zeitlichen Reihenfolge und recht sprunghaft erzählt sind. Gleichzeitig erinnert man sich an Vergangenes und füllt die Stichworte bereits gedanklich mit eigenen leichtgewichtigen oder schwermütigen Inhalten, selbst wenn man es nicht gleich Abschluss des jeweiligen Kapitels niederschreibt.

„Der Schreibmuskel ist ein Muskel, der verkümmert, wenn man ihn nicht trainiert“, so Doris Dörrie. „Leben, Schreiben, Atmen“ ist inspirierend und macht Lust darauf, gleich mit dem Training zu beginnen.