Intensiv, hat mich vollkommen in den Bann gezogen
Caroline Schmitts Schreibstil würde ich als intensiv beschreiben. Sie changiert zwischen sehr speziellem Humor, Tatkraft und Euphorie, Depression, Aufbruch und Stillstand. Und das alles geht wechselnd Hand in Hand und konnte mich von Beginn an begeistern.
Lio ist jung, hat nie eine Beziehung geführt und hat eine starke abstoßende Haltung zu Sex. Ihre Freundin und Mitbewohnerin Mariam möchte sie jedoch immer wieder zu Dates überreden und schubst Lio so in Max' Arme. Was als absurdes und komisches Date beginnt, entfaltet sich langsam zu einer ehrlichen und offenen Liebe - mit Höhen, Tiefen und immer neuen Herausforderungen, was das Zulassen und Benennen von Gefühlen angeht. Endlich fühlt Lio annährend, was wohl auch andere Menschen beim Sex fühlen, traut sich in der Beziehung aufzublühen und nimmt sich und ihren Körper an.
Bis sie ungewollt schwanger wird und sich erneut mit sich, ihrem Körper und vor allem ihrer Vergangenheit auseinandersetzen und eine Entscheidung treffen muss.
Ich mag Lios Sichtweise, ihre Perspektive und ihren Ton sehr gern. Es wird schnell klar, dass sie sich selbst als verkorkst sieht und auf der Suche ist. Ihre Kindheit und Jugend ist geprägt durch ihre kalte, gewaltvolle Mutter, ihren gleichgültigen Vater und ein traumatisches Erlebnis, das sie lange nicht aufgearbeitet hat. Max hingegen kämpft gegen seine Depressionen an, bringt Buntes in Lios und seine Beziehung und tänzelt trotzdem immer wieder am Abgrund.
Mit "Liebewesen" hat Caroline Schmitt nicht nur einen fantastischen Neologismus geschaffen, sondern auch ein brillantes Debüt vorgelegt. Sie thematisiert queere Liebe, Missbrauch, Beziehungsängste, -sorgen und -sehnsüchte sowie Identitätsfragen und Kinder(nicht)wunsch.
Bereits nach den ersten Seiten hat sie mich vollständig in ihren Sog gezogen, ich habe Lios und Max' gemeinsame Zeit wie im Rausch verfolgt und wurde mit vielen Gedanken und Gefühlen zurückgelassen.
Ein fantastisches Buch, das eine wichtige Stimme für unsere Gesellschaft und all die immer noch tabuisierten Themen sind.