Rezension

Intensiv, spührbar, geschickt erzählt ...

Die Kunst des Verschwindens -

Die Kunst des Verschwindens
von Melanie Raabe

Bewertet mit 5 Sternen

Berlin. Die Zeit zwischen den Jahren. Ruhig, magisch, immer anders als der Rest des Jahres. Hier lebt Nico, eine Fotografin, die sich selbst noch nicht gefunden hat und hier ist auch Ellen, die Schauspielerin, die kurz vor einer Premiere steht. Man sieht sich flüchtig, man nickt sich zu und an Silvester begegnet man sich. Sie streifen durch die nächtlichen Straßen von Berlin, erleben den Zauber von einem beginnenden Jahr zusammen und fühlen sich verbunden. Es fühlt sich an, als ob sie sich schon Jahre kennen würden, ein Gefühl von Seelenverwandtschaft, Vertrautheit, ein Bedürfnis, sich zu öffnen, und doch ist Ellen am nächsten Tag verschwunden. Zurück bleiben eine Entschuldigung und die lang verschollene Kette ihrer verstorbenen Mutter. Wie hängt das zusammen? Wo ist Ellen hin? Wofür diese Entschuldigung? Nico lässt das alles nicht los und obwohl sie ganz andere Sorgen hat, muss sie Ellen finden und die Geschichte erfahren, wie sie zur Kette ihrer Mutter kommt. So beginnt Nicos Reise zu Ellen und sich selbst.

Ein neuer Roman von Melanie Raabe und ich kann mich noch an „Die Falle“ so gut erinnern. Das Buch hat mich geflasht, umgehauen und so begeistert zurückgelassen, das ich es heute immer noch gern empfehle. Dann irgendwann hat sich das etwas verloren, ich kann es gar nicht genau betiteln, warum, aber mich konnten die Bücher nicht mehr so erreichen. Nun kam „Die Kunst des Verschwindens“ und das hat mich auf vielen Ebenen angesprochen, das ich es wieder versuchen wollte und was Melanie Raabe mit mir gemacht hat, erzähle ich euch nun.

Ellen ist Schauspielerin, sie hat es geschafft, zum großen Hollywoodstar aufzusteigen und steht gerade vor einen großen Höhepunkt in ihrer jungen Karriere, bis einiges über sie zusammenbricht. Der Ruhm hat seine Schattenseiten und so muss sie sich mit einen Stalker, übergriffigen Fans und Schlagzeilengeilen Medien herumschlagen. Dabei ist ihr bester Freund verstorben und sie darf nicht mal richtig trauern. Zerrissen, wütend und ausgebrannt, begegnet Ellen Nico.

Nico ist Fotografin, nicht so eine, wie sie es gerne wäre, nämlich eine Künstlerin, sondern jemand, der sich mit dem Tagesgeschäft von Bewerbungsfotos und Familienbildern über Wasser hält. Lebt in einer Fernbeziehung und kämpft immer noch mit Albträumen von ihrer toten Mutter. Außerdem gibt es da noch Kurt und sie weiß nicht, wie sie ihren Lieben davon berichten soll. Überfordert, verwirrt und belastet, begegnet Nico Ellen.

Melanie Raabe ist eine Sprachkünstlerin. Das hat sie drauf, das setzt sie gewollt und gekonnt ein, und das hat sie mit dieser Geschichte wieder aufs Feinste bewiesen. Sie baut eine Atmosphäre, die greifbar, spürbar und unter die Haut geht, auf. Lässt einen körperlichen Schmerz mitfühlen und manches ist so intensiv, das man nach Luft schnappen muss. Es gibt so viele Szenen in dieser Geschichte, die mich berührt haben, die ich körperlich und seelisch miterlebt habe, das ist einfach unglaublich. Überhaupt ist dieser Roman mit vielen Emotionen, aber auch mit Erwartungen und Vorurteilen bestickt. Ich konnte es gar nicht wirklich aus den Händen legen und diese Sprachgewalt ist so einnehmend, dass man gefangen ist und in einen regelrechten Sog hineingezogen wird.

Überhaupt finde ich es eine gute Wahl vom Verlag nicht mehr Thriller auf ihren Büchern drauf zu schreiben, sondern Roman. Ohne Frage ist es eine spannende Lektüre, die Wendungen aufzeigt, mit denen man nicht gerechnet hat, die einen an Orte führt, die man im Leben nicht erwartet hat und die eine Geschichte erzählt, die mehr als nur auf einer Ebene spielt. Zwei unterschiedliche Frauen, zwei verschiedene Leben, die nicht gegensätzlicher verlaufen hätten sein können und doch gibt es eine Verbindung, ein magisches Band, was zwei Menschen zusammenführen muss. Melanie Raabe hat ein Talent, über magische Dinge zu schreiben, kein Hokuspokus versteht mich nicht falsch, aber im Leben gibt es doch Dinge, die man eher Schicksal nennt, um nicht magisch zu sagen. Und diese Autorin greift gern so was auf und es stimmt doch, manchmal ist es leichter, sich jemanden Fremdes zu öffnen, als der Familie. Erwartungen, Erfüllungen, Contenance hemmen, doch oft über Wirkliches zu sprechen. Und dieser Roman hat noch viel mehr Facetten, die berühren, melancholisch stimmen und einen zum Nachdenken anregen.

Ohne Frage, das Buch hat mich eingenommen, ich habe es gerne gelesen. Ich habe die Sprache geliebt und jede Seite davon mit Genuss. Melanie Raabe hat mich wieder auf ihre Seite gezogen und mich verzaubert. Danke.

Die Kunst des Verschwindens, ist intensiv, spürbar und geschickt erzählt. Hier wird das Verschwinden auf mehreren Ebenen geschildert, man muss nur genau hinsehen. Lesegenuss pur.