Rezension

Intensiv und emotional

The Hurting - Lucy van Smit

The Hurting
von Lucy van Smit

Bewertet mit 4 Sternen

Kann die Liebe, vor allem die erste Liebe, ein junges Mädchen total umkrempeln und alle Prinzipien vergessen lassen? Ein Kind entführen? Das ist schon harter Tobak.

Die ersten Seiten haben mich so dermaßen fasziniert, ich musste dieses Buch unbedingt lesen. Denn ich konnte mich gar nicht mehr losreißen. Zunächst dachte ich zwar, das ist eine von diesen vielen herzzerreißenden Stories über den Krebs, der ein junges Mädchen heimsucht und die ganze Familie muss darunter leiden. Aber so war es hier nicht, obwohl das wohl der Grund ist, warum Nell sich mit Haut und Haaren auf Lukas einlässt und alle Warnsignale ignoriert. Denn wenn man immer nur die zweite Geige spielt, weil die ältere Schwester sehr krank ist, ja dann ist man sehr empfänglich für ungeteilte Aufmerksamkeit und die große Liebe. Nell hat kein leichtes Leben, mit ihrer Schwester verbindet sie eine Art Hassliebe, ihre Mutter hat vor vielen Jahren die Familie verlassen und der Vater ist seitdem dem Alkohol verfallen. Also beste Voraussetzungen, sich blind auf jemanden einzulassen, der ihr die dringend nötige Aufmerksamkeit gibt.

Die meiste Zeit erzählt Nell, der Schreibstil ist dementsprechend altersgemäß locker, witzig und modern.  Ganz wenige Kapitel sind allerdings Lukas gewidmet und die haben mir teilweise richtig Gänsehaut beschert. Er erzählt zwar nicht selbst und durch die Erzählform habe ich ein wenig Abstand, aber seine Gedanken sind extrem düster. Was für eine arme Seele, dessen Leben zwar anders aber nicht weniger schmerzvoll als das von Nell verlaufen ist. Er hat meine Sympathie sehr oft, aber manchmal hat es mich sehr gegruselt, weil seine Abgründe extrem tief sind.

The Hurting ist in drei Teile gegliedert: Liebe, Rettung, Opfer. Den Anfang fand ich total faszinierend und ich konnte mich dem Sog, den The Hurting auf mich ausübte, kaum entziehen. Aber dann wurde es zwar immer dramatischer, aber auch übertrieben und ein bisschen detailverliebt. Das war mir etwas zu viel und hat mir zwischendurch ein bisschen die Leselust genommen. Der Spannungsbogen wurde dennoch konstant gehalten und einige Erkenntnisse haben mir den Atem geraubt. Besonders der innere Konflikt von Nell wurde sehr glaubhaft dargestellt.

Ich mag das Buch, aber es ist nicht einfach und keineswegs ein Wohlfühlbuch, obwohl es sehr intensiv und emotional geschrieben ist. Es führt mich an Abgründe, die ich in meinem eigenen Leben nicht haben möchte.