Rezension

Interessant

Zwischen heute und morgen -

Zwischen heute und morgen
von Carmen Korn

Bewertet mit 4 Sternen

Wie es in den 60iger Jahren war

Der Roman 'spielt' in den 60iger Jahren (1960-1969). Ich habe die knapp 600 Seiten in 5 Tagen ausgelesen. Wollte wissen, wie es weitergeht. War irgendwann in der Geschichte drin. Gereizt hat mich, dass ich ein reduziertes Mängelexemplar erstanden habe sowie die Schauplätze Köln, Hamburg und San Remo und ihr damaliges Lokal-Kolorit. Mit allen Orten bin ich persönlich verbunden.Es geht auch um das ganz Große, um das Weltgeschehen, um Meilensteine in der Geschichte und Politik. Selbst die Sprache wird der damaligen Zeit angepasst: 'ausbedungen(551)' für 'darum gebeten'. Weltgeschichte und wie das alles so damals war, auch in meiner Region, auch in meinem Geburtsjahr, das interessiert mich genauso wie Familiengeschichten, Beziehungsproblematiken und das Schicksal. Schön das Einflechten der ganzen Markennamen wie Grundig, Bahlsen usw., Kindheitserinnerungen werden wach. Dass die Kriegsgenerationen und deren bis in die Gegenwart sich auswirkenden Kriegstraumata im Roman derart präsent sind, wird aus dem Klappentext nicht ersichtlich. Nahezu jede männliche Figur ist betroffen. So ist Pips, der Klavierspieler von der Gestapo verstümmelt worden, die dreizehnjährige Kriegsgefangenschaft Joachims hat Spuren auf seiner Seele hinterlassen, Jules war in einem japanischen Konzentrationslager. 'Grete wird den gleichen Schiet am Stecken haben wie die anderen. Heil geschrien, weggeguckt, als die Juden und die Kommunisten schikaniert wurden und schließlich ganz verschwanden. Hauptsache, man durfte sich geborgen fühlen in der großen Volksgemeinschaft (160)'. Ein jeder von uns hat Großeltern oder Eltern der Kriegsgenerationen, aber das Thema scheint Carmen Korn doch sehr bewegt zu haben, jetzt 80 Jahre nach Ende des zweiten Weltkrieges. Eine Mahnung an uns alle. 'Doch nach meiner Rückkehr nach Deutschland war ich erstaunt, wie zurückhaltend die Verfolgten der Nazis sind, sich als solche zu erkennen zu geben (307)'. Latent sickert das 'Problem' der Kollektiv-Schuld durch. Weitere Themen sind Verluste, Todesfälle (keine Hochzeit), die Mafia, Drogen, Kriminalität, Ehekrisen, das Alter, Liebe. Korn lässt der Erzählung eine Ahnentafel (16 Leute) und Kurzbiographien mancher Figuren voranstellen. Ohne dies wäre es wohl kaum gegangen, nicht für Leute, die nur Teil 2 lesen (dass es eine mehrteilige Saga ist war mir nicht bekannt) und für mich war es auch ein ständiges Blättern, nochmal nachlesen, wer ist wer und wer mit wem. Es ist nicht so leicht, den Überblick bei den vielen Personen zu behalten, bis man wirklich im Geschehen drin ist und der eine oder andere zum wiederholten Male in den Zeilen auftaucht. Von einigen Personen, z.B. Jef, Corinne und Carla Bianchi, hätte ich mir eine eigene Kurzbio gewünscht. Pips, der Suchende, Mäandernde ist der menschliche rote Faden, der Orte, Figuren und die Handlung zusammenhält, sympathisch. Es tauchen Formulierungen auf, die mir gut gefallen , metaphorisch 'Aber vermutlich muss man viel öfter mit nackten Füßen tanzen, auch wenn die Fliesen kalt sind(316)'. Der Liederabend für die sich verabschiedende Grete ist berührend, Leben ist Jetzt, Liebe ist alles. Ich habe das Buch gern gelesen und würde es auch ein zweites Mal tun, ein dicker Schinken für die jetzt kälter werdenden Tage und gemütlichen Herbstabende im Kerzenschein.