Rezension

Interessante Geschichte einer Freundschaft vor historischem Hintergrund

Die vergessene Freundin - Rebecca Martin

Die vergessene Freundin
von Rebecca Martin

Bewertet mit 4 Sternen

Elisabeth Kramer, genannt Elly, ehemals eine gefeierte Schauspielerin, ist inzwischen über 100 Jahre alt. Sie lebt mit ihrer Nichte und ihrem Neffen in der Familienvilla. Ellys Vater gründete einst in Frankfurt das Lichtspieltheater Odeon und nun beauftragt ihre Nichte eine Historikerin zum 90. Jubiläum des Kinos eine Festschrift zu schreiben. Elly ist von dieser Idee nicht begeistert, denn diese Geschichte wird auch ihre Vergangenheit berühren, die sie so viele Jahre erfolgreich verdrängt hat und in der sie eine Schuld auf sich geladen hat.
Ellys Geschichte ist nicht nur die einer behüteten Tochter und später einer erfolgreichen Schauspielerin sondern auch die Geschichte einer Frauenfreundschaft, die in den 1920er Jahren begann, als Elly und Tonja sich als Kinder kennenlernen und beste Freundinnen werden.

Rebecca Martin erzählt diese Geschichte in zwei Handlungssträngen. In der Gegenwart erleben wir im Jahr 2013 die Historikerin Carina, die von Ellys Nichte den Auftrag für die Festschrift erhält. Im Rahmen der Vorbereitungen muss Carina viele Kisten mit alten Fotos, Zeitungsausschnitten und sonstigen Materialien sichten. Aber wichtig wären Gespräche mit Elly, der einzigen Zeitzeugin, die zu all diesen Dingen einiges erzählen könnte. Diese wehrt sich jedoch anfangs heftig dagegen und nur mit viel Einfühlungsvermögen und Geduld kann sich Carina ihr nähern. Und irgendwann ist Elly dann auch bereit, Carina ihre Geschichte zu erzählen.

Den größeren Teil des Buchs nimmt jedoch der Handlungsstrang in der Vergangenheit ein. Er beginnt mit einem Prolog im Jahr 1934, in dem klar wird, dass es zwischen Elly und Tonja zu einem schrecklichen Bruch kommt.
Die eigentliche Handlung beginnt dann im Jahr 1918 mit der Gründung des Lichtspieltheaters Odeon, das bald auch zum Lieblingsplatz von Elly und später auch von Tonja wird. Der Leser erlebt, wie sich die beiden aus so unterschiedlichen Verhältnissen stammenden Mädchen kennenlernen und schnell unzertrennlich sind.

Und so wie Elly in der Gegenwart Carina ihre Fragen beantwortet und ihre Geschichte in Etappen erzählt, wechselt die Zeitebene dann wieder in die Vergangenheit.
Der Erzählstrang in der Vergangenheit erstreckt sich von 1918 bis 1932 und macht in einigen Episoden Abstecher in die Jahre 1955, 1966 und 1992. Dabei werden auch einige historische Ereignisse erwähnt und bilden den Hintergrund für die Geschichte, ohne dabei ins Detail zu gehen.
Ellys und Tonjas Geschichte ist durchaus fesselnd, plätschert aber manchmal auch nur so dahin. Aber es wird deutlich, wie wichtig beiden die tiefe Freundschaft ist und wie sich aus den beiden Mädchen junge Frauen entwickeln. Die Liebe kommt auch ins Spiel und verändert das Leben der beiden entscheidend.
Das Geheimnis, das Elly in der Gegenwart so lange gehütet hat, wird dann erst ziemlich zum Ende gelüftet und dadurch wird dann vieles klarer.
Auch in der Gegenwart gibt es eine zarte Liebesgeschichte, die sich nur sehr zögerlich und langsam entwickelt, aber eigentlich nur eine Nebenhandlung ist. Denn im Mittelpunkt dieses Buchs stehen eindeutig Elly und Tonja.
Die beiden sind als Protagonistinnen auch sehr gut gezeichnet und charakterisiert. Ihre Entwicklung im Verlaufe der Geschichte über die vielen Jahre ist erkennbar und glaubwürdig.
Carina sowie Ellys Nichte und Neffe bleiben dagegen ein bisschen blass, was sicher daran liegt, dass der Handlungsstrang in der Gegenwart nicht im Vordergrund steht.

Rebecca Martin entführt uns mit diesem Roman in die Welt des frühen Kinos, als Stummfilme noch von Orchestern musikalisch begleitet wurden. Wir erleben die ersten Tonfilme, die die Orchester überflüssig machten und damit auch ein Stück Filmgeschichte, die sich durch Ellys spätere Tätigkeit als Schauspielerin fortsetzt.
Sehr gut gefallen hat mir der lebendige und detailreiche Schreibstil, der dazu beigetragen hat, dass mich die Geschichte gefesselt und auch immer wieder mein Kopfkino inspiriert hat.
Diese Geschichte über eine Freundschaft zweier ungleicher Frauen, die viele Jahre mit Freud und Leid überdauert hat und durch ein tragisches Ereignis zerbricht, ist unterhaltsam, stellenweise bewegend und auf jeden Fall lesenswert!

Fazit: 4 von 5 Sternen

 

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© Fanti2412