Rezension

Interessante und spannend geschriebene wissenschaftliche Familienbiografie

Verleumdet, verfolgt, vertrieben - Hans Jürgen Grabbe

Verleumdet, verfolgt, vertrieben
von Hans Jürgen Grabbe

Bewertet mit 5 Sternen

Meine Meinung

“Dieses Buch wendet sich an alle an der Geschichte Wittenbergs, Sachsen-Anhalts, ja der deutschen Geschichte im “Dritten Reich” und der unmittelbaren Nachkriegszeit insgesamt – in Ost und West – interessierten Menschen. Ich habe mich darum bemüht, Fremdwörter und Fachbegriffe möglichst zu vermeiden und gegebenenfalls zu erläutern. Ich hoffe, das ist weitestgehend gelungen. Um auch Schülerinnen und Schülern der gymnasialen Oberstufe zu erreichen, habe ich außerdem den mir selbst gegebenen Schwur, zeitlebens bei der alten, bewährten Rechtschreibung zu bleiben, gebrochen. Möge es nützen!” (Buch S. 8)

Vorab kann ich sagen, Herrn Hans-Jürgen Grabbe ist gelungen, was er sich vorgenommen hatte! Dies ist die interessanteste und spannendste Familiengeschichte in Form einer Biografie, die ich glesen habe! All die Fußnoten, die seinen wissenschaftlichen Text belegen störten überhaupt nicht. Oftmals gab es sehr gute Erklärungen, die ich als unbedingt wertvoll erachte.

Im ersten Kapitel erzählt der Autor sehr ausführlich, wie er dazu gekommen ist, diese Biografie zu schreiben, welche Kontakte er zu den Nachkommen der Familie Bosse knüpfen konnte und welche Wege die Recherche nahm. Sehr deutlich wurde hierbei, welchen Aufwand wissenschaftliche Bücher benötigen, um den Ansprüchen des Autors, des Verlages wie auch der Leser*innen gerecht zu werden. Hier spreche ich deshalb einen großen Dank an den Autor aus. Er hat ganz tolle Arbeit geleistet.

Es ist immer gut, wenn man vor dem Lesen das Inhaltsverzeichnis ganz liest und das Buch kurz durchblättert. Denn Hans-Jürgen Grabbe hat am Ende der Biografie eine Stammbaumtafel der Familien Bosse und Levin / Ledien zusammengestellt. Hier habe ich mir ein Lesezeichen gesetzt und konnte während des Lesens immer mal wieder in die Stammbäume schauen, von wem gerade die Rede war und welcher Generation die Person entstammte, denn die Familie Bosse vergab sehr gerne und oft ihren Kindern die Namen der Eltern.

Ich habe dieses Buch regelrecht verschlungen, denn dem Autor gelang es, einen wissenschaftlichen Text mit vielen Jahreszahlen und Informationen sprachlich so zu formulieren, dass man als Laie, zu denen ich mich zähle, diese Biografie flüssig und ohne Probleme lesen konnte.

Die Recherche zum Familienschicksal der Bosses zeigt sehr deutlich, dass auch Mischlinge, Kinder mit einem deutschen und einem jüdischen Elternteil, wie auch versippte, Menschen, die eine Jüdin / einen Juden geheiratet haben, gleich behandelt wurden. Was beideutet, dass auch sie in Arbeits- und Konzentationslager verschleppt wurden.

“Die Entbindungszahlen [in der Klinik Bosse] sind auch deshalb bemerkenswert, weil die örtlichen NS-Instanzen ihr Möglichstes taten, um die Wittenberger vom Besuch der Klinik abzuschrecken. Doch darauf beschränkte sich die Repression der Nationalsozialsten nicht. Staat und Partei behinderten, verfolgten und peinigten ab 1934 systematisch alle Mitglieder der Familie.” (Buch S. 78)

Auch die Familie Bosse bzw. Levin / Ledien hatte mit den Problemen der Auswanderung zu kämpfen. Beispielsweise Hans Ledien, Paul Bosses Schwager, hatte eine Frist zur Auswanderung aus Deutschland erhalten. Doch es war unmöglich ein Visum in die USA, Großbritannien oder andere Europäische Staaten zu bekommen. Am Ende hatte er großes Glück und konnte nach Shanghai fliehen, jedoch ohne seine (nicht jüdische) Frau und Tochter, die er erst acht Jahre später im Jahre 1947 wieder sehen konnte.

Jedes einzelne Schicksal der beiden Familien ging mir sehr nahe. Nicht alle überlebten das Naziregime und den Krieg. Käte Bosse, Paul Bosses (jüdische) Ehefrau kam im KZ Ravensbrück ums Leben.

Das Buch runden ein Epilog, die Bibliografie sowie ein Register ab. Insbesondere das Register finde ich auch sehr gelungen, da man durch dieses nach speziellen Namen und Orten suchen und direkt nachschlagen kann.

Fazit
Wer sich für (Familien) Biografien und das Dritte Reich interessiert, ist bei diesem Buch geanau richtig. Hans-Jürgen Grabbe hat gezeigt, dass es möglich ist, ein wissenschaftliches aber auch sehr verständliches Buch zu schreiben, für das sich eine große Leserschaft interessieren könnte.