Rezension

Interessantes Porträt der damaligen Zeit

Rheinblick - Brigitte Glaser

Rheinblick
von Brigitte Glaser

Bewertet mit 3.5 Sternen

Wir schreiben das Jahr 1972 in Bonn: Die Bundestagswahl ist gerade gelaufen. Im Mittelpunkt des Romans stehen zwei Frauen. Zum einen Sonja Engel, eine Krankenschwester mit Zusatzausbildung zur Logopädin. Sie soll sich um Willy Brandt kümmern. Er liegt nach seiner Kehlkopfoperation im Krankenhaus und darf nicht sprechen. Zum anderen die Wirtin des Rheinblick, Hilde Kessel. In ihrem Lokal trifft sich die Bonner Politik von den Vorzimmerdamen bis zu den Politikern. Sie sieht alles, sie hört alles, sie weiß alles…

Das Buch ist, was das Zeitgeschehen angeht, sehr spannend. Es erzählt vom Misstrauensvotum im Frühjahr 1972, von der Wahl, von den vielen Erstwählern, da das Wahlalter gesenkt wurde und vielem mehr. Sehr interessant auch, wie hier Wahrheit mit Dichtung verwoben wurde.

Gefallen hat mir zudem, wie das Flair der damaligen Zeit eingefangen worden ist. Die jungen Leute wenden sich von der Vorstellung der Kernfamilie als Lebensmodell ab und leben als Kommune oder WG zusammen. Die Frauenemanzipation wird groß geschrieben. Mancher richtet sein ganzes Leben am Kommunistischen Manifest als Ratgeber in allen Lebenslagen aus. Eine ganze Generation befindet sich im Aufbruch und Wandel. Und auf der anderen Seite gibt es die alten Werte und konservativen Vorstellungen, die dem gegenüberstehen. Das hat Brigitte Glaser sehr gut rausgearbeitet und in dem Buch eingefangen.

Doch leider konnte mich der Erzählstil der Autorin überhaupt nicht einfangen. Ich habe ihn als sehr kühl und distanziert empfunden. Es machte mir zum Teil keinen Spaß dieses Buch zu lesen und dementsprechend langsam bin ich vorangekommen, und dass, obwohl mich das Thema brennend interessiert hat.

Im Laufe des Buches kam dann noch dazu, dass ich den Handlungsstrang um Willy Brandt anstrengend zu lesen fand. Er wurde als sehr unsympathisch dargestellt. Ich habe mich wiederholt gefragt, warum der Arzt ihm nicht einfach die logopädischen Übungen verordnet. Offensichtlich musste man ihn in dem Buch ja zu seinem Glück zwingen. Da es sich dabei um reine Fiktion gehandelt hat, ist es mir unverständlich, was so ein herumgeeiere soll.

Ein Buch mit hohem Informationswert, das mir vom Erzählstil her nicht sonderlich zusagt.