Rezension

Interessant,streitbar, lesenswert

Spiel des Lebens - Alice Roberts

Spiel des Lebens
von Alice Roberts

Bewertet mit 4 Sternen

Mal eine andere Sicht auf die Artenentwicklung...

Schon gewusst? 

...Es gibt mindestens dreimal so viele Hühner auf der Erde wie Menschen 

...Dass Elche, Hirsche, Wildschweine, Wölfe oder Adler ausgerechnet in der Exklusionszone um Tschernobyl prächtig gedeihen? 

...Dass schon Jäger und Sammler und nicht erst unsere sesshaftgewordenen Vorfahren Weizen nutzten? 

...Dass dunkelhäutige Menschen häufiger an Vitamin-D-Mangel leiden als hellhäutige? 

...Wie Äpfel in der Lage waren, den Menschen zu zähmen? 

Das alles und viel mehr erfährt man aus diesem interessanten Buch. 

Optik: Das Buch „Spiel des Lebens - Wie der Mensch die Natur und sich selbst zähmte“ ist im wbg-Theiss-Verlag erschienen und hat 374 Seiten. Das Buch ist mit seinen 15 cm etwas breiter als ein herkömmliches Format und bietet eine gelungene Innengestaltung mit stilvollen Zeichnungen und übersichtlicher Gliederung nach den einzelnen Arten sowie einen passenden Titel – die Gestaltung als „Roulette“ greift den Inhalt insofern auf, als in Evolution und Domestizierung der Arten nicht alles ganz so geplant ablief, wie es im Allgemeinwissen bisher verankert ist. Auch vom Schriftbild her überzeugt das Buch als übersichtlich gestaltet und mit einer lesefreundlichen Buchstabengröße . 

Verfasser: Die Autorin, Dr. Alice Roberts, ist eine englische Anthropologin, Paläopathologin, Medizinerin und Fernsehmoderatorin, die außerdem seit zehn Jahren als Professorin für Public Engagement of Science an der Universität Birmingham lehrt und nebenher für die BBC seit 2001 als Archäologin und „Knochenexpertin“ auftritt. 

Inhalt: ...ist die Evolution der Menschheit, erläutert an der Entwicklung und Zähmung von zehn Arten, Tieren wie Pflanzen, (Hunde, Rinder, Hühner, Pferde, Weizen, Mais, Kartoffeln, Reis, Äpfel und die Menschheit selbst) und ihrer Interaktion untereinander, die zu der Welt führte, die wir heute kennen. („Weizen versorgt(e) eine wachsende Bevölkerung mit Nahrung, Pferde gaben uns ihre Kraft und Beschleunigung... Der Mensch zähmte sie alle – und sie alle zähmten den Menschen.“) 

Vor allem Letzteres ist Dr. Roberts Mission: aufzuzeigen, wie alles zusammenhängt und aufeinander einwirkt, und sich gegenseitig beeinflusst hat – fußend auf einer Reihe neuester wissenschaftlicher Erkenntnisse, vor allem aus der Genforschung. Sie belegt mit vielen Beispielen aus Forschung und Praxis, auch für den Laien anschaulich, wo traditionelle Vorstellungen über unsere Vorfahren und die Domestizierung anderer Arten in der Menschheitsgeschichte überholt sind - wir sind nicht vom Rest der Natur abgespalten und „benutzen“ diese zu unseren Zwecken. Wir gehören vielmehr zu einem komplexen Beziehungsnetzwerk der Natur und tragen Verantwortung, für die Wildnis genauso wie für die von uns domestizierten Arten, deren Zähmung mitunter auch nur ein Zufall war. Im Sinne der Umwelt, aber auch der zukünftigen Landwirtschaft, plädiert Roberts hier zu einem anderen Verhältnis zur Natur und zeigt Bezüge zu diversen disziplinübergreifenden Themen auf, die uns Alle angehen (zum Beispiel der Frage, ob Milch für uns wirklich gesund ist, oder ob wir weiterhin der Gentechnik so kritisch gegenüber stehen sollten). 

 

Meinung: das Buch hat mir insgesamt sehr gut gefallen und wird auch als Nachschlagewerk prominenten Platz in meinem Regal finden. Ich hatte nicht erwartet, derart breitgefächertes Wissen, gut verständlich für Nicht-Wissenschaftler, zu bekommen und so viele, sehr praktisch orientierte Hinweise auf die Umwelt–, Ernährungs– und Gesundheitsprobleme unserer Zeit. In dieser disziplinübergreifenden Fülle liegt meines Erachtens auch die Stärke des Buches. 

Es geht nicht nur darum, dass nach aktuellen Erkenntnissen die bekannte Stammesgeschichte der Menschheit neu geschrieben werden müsste, sondern auch um anregende Überlegungen zu aktuellen Themen wie Klimawandel, Gentechnik, moderne Landwirtschaft und unser Umgang mit Tieren und der Natur. Die medienerfahrene Dr. Alice Roberts ist darüber hinaus eine gute Erzählerinnen, sogar persönliches fließt hier und da sehr unterhaltend, stellenweise fast poetisch, in dieses Sachbuch ein. Allerdings muss ich dann doch einen Stern abziehen, denn gerade die Menge an Erzählungen, Geschichten und Studien hat mich auch immer wieder verwirrt. Noch ein Besuch einer Grabungsstätte und noch eine Laboruntersuchung, immer wieder der Aufbau, dass etwas behauptet wird, nur um gleich anschließend widerlegt zu werden – wenn so etwas wiederholt passiert, kann das den Laien schon verunsichern, zumal nicht immer am Ende des Kapitels ein klärendes Fazit gezogen wird. 

Auch ihre Argumentation „pro Gentechnik“ konnte mich zwar zum Nachdenken anregen, aber doch nicht in Gänze überzeugen. Vor allem das Argument, dass z.B. Bauern in Entwicklungsländern doch selbst entscheiden können/sollten, was sie einsetzen, zieht für mich überhaupt nicht, solange Firmen wie Bayer/Monsanto usw. dort auch die „Aufklärungsarbeit“ leisten. 

 

Fazit: ein umfassendes, lebendig geschriebenes und interdisziplinär angelegtes Buch für Laien, das unterhaltsam aufklärt und viel Stoff zum Nachdenken liefert, und in einzigartiger Weise insbesondere die komplexe und wichtige Wechselbeziehung des Menschen zu anderen Arten veranschaulicht. Mit der Fülle muss man allerdings umgehen wollen.