Rezension

„It was many and many a year ago…”

Löwenzahnkind - Lina Bengtsdotter

Löwenzahnkind
von Lina Bengtsdotter

Bewertet mit 5 Sternen

„Ich sehe eine dreiunddreißigjährige Frau, die gerne feiert, keine Lust auf Small Talk hat und die großartige Fähigkeit besitzt, Details im Ganzen und das große Ganze im Detail zu erkennen.“ S. 49 So charakterisiert ihr Kollege Anders Bratt sie, die Polizistin mit Psychologiestudium Charlie Lager, die gerne zu viel trinkt, zu viel raucht und in ziemlichem Chaos lebt, dabei aber hochintelligent ist und vor allem, nichts von sich preisgibt. Beider Chef Challe schickt sie los, als die 17jährige Annabelle Roos verschwindet, ausgerechnet in Gullspång. Charlie ist dort aufgewachsen, bis sie vierzehn war. Sie wollte nie zurückkehren, wegen Betty und all der Dinge, die damals passiert sind.

Wer hier als "klassischer" Thrillerleser einsteigt, wird vermutlich enttäuscht sein. Das ist eher Psychodrama, Familienträgödie, Sozialkritik, als solche aber richtig gut und mitreissend geschrieben. Es passieren die Dinge, die Polizisten genau so sicherlich erleben – wenn auch wenig passiert im Sinne von „ermittelt, verhört, Täter gefasst“. Wer sich also darauf einlassen kann, findet einen meiner Meinung nach toll geschriebenen Roman. Allerdings ist das definitiv kein Wohlfühlbuch, eigentlich ist nur Lize Spit „Und es schmilzt“ härter. Es ist ein Buch über die Hoffnungslosigkeit in den heruntergekommenen Orten am gefühlten Ende der Welt, über Alkohol, die einzige Kneipe mit nur einem Gericht, über Tabletten, den Wunsch zu vergessen, den Wunsch, wegzukommen. Autorin Lina Bengtsdotter schreibt über Jugendliche, die nach Halt und Hoffnung suchen, aber letztlich ebenso allein sind wie die Erwachsenen.

Geschickt werden drei Handlungsstränge aufgebaut: in der Gegenwart ermittelt Charlie mit ihrem Kollegen und taucht bald tiefer in ihre eigene Vergangenheit ein, als sie jemals wollte. Parallel folgt man Annabelle bis zu ihrem Verschwinden – diese beiden Perspektiven entwickeln sich aufeinander zu. Doch da gibt es noch eine weitere Ebene um zwei beste Freundinnen. Ich hatte mit etwas ganz anderem gerechnet, war schockiert über die Wendungen und Erkenntnisse und froh, mich auf das Buch eingelassen zu haben.

Etwas ganz Eigenes, Anderes. 5 Sterne.