Rezension

Jack the Ripper aus einem unpopulären Blickwinkel

Der Hölle Zorn - Ursula Neeb

Der Hölle Zorn
von Ursula Neeb

Bewertet mit 5 Sternen

Zusammenfassung
Eigentlich steht das Leben von Anstaltswärter Mathew Morgan auch so schon Kopf genug: durch die psychische Belastung seines Jobs dem Alkohol verfallen, setzt ihn auch noch seine Frau vor die Tür, nachdem er sie volltrunken mit einer langjährigen Arbeitskollegin betrogen hat. Nach Hause kommen darf er erst wieder, wenn er es schafft, dem Alkohol endgültig abzuschwören. Als wäre das nicht schon grausam genug, verstirbt auch noch seine langjährige Patientin Lilli und vermacht ihm seine Memoiren. Während Mathew gegen seine eigenen Dämonen kämpft, begibt er sich immer tiefer in die Abgründe ihrer Erzählungen und muss erkennen, dass auch das Leben der alten, liebenswürdigen Dame alles andere als anständig und tugendhaft war ….   

 

Meinung
„Der Hölle Zorn“ ist mein erster Roman von Ursula Neeb und ich kann mit Sicherheit behaupten, dass es nicht mein letzter sein wird.

Mit dem Anstaltswärter Mathew begleitet man einen wunderbar liebenswürdigen und glaubhaften Charakter durch die Geschichte. Auch wenn es am Anfang ein paar Seiten dauert, bis man ihn ins Herz schließt – schließlich spricht Untreue nicht wirklich für einen optimalen Charakter – wird er mehr und mehr zum Licht in dieser sonst so düsteren Geschichte. Mathew ist dabei ein eher einfacher Mann, der seine Familie über alles liebt und obgleich seiner Arbeit das Gute in seinen Mitmenschen sieht. Trotz seiner hünenhaften Erscheinung ist er niemand, der die Konfrontation mit anderen sucht, steht aber durchaus auch vehement für seine Überzeugung ein, wenn es sein muss.

Lilli ist dabei das radikale Gegenteil von Mathew. Klein und gedrungen, offenbart sich hinter der Fassade der alten, freundlichen Dame ein geradezu soziopathischer Charakter. Da sie keinerlei Mitgefühl für ihre Mitmenschen aufbringen kann, lernt sie schon früh, welche Rolle welcher Situation angemessen ist, um ihre Mitmenschen zufrieden zu stellen und nach ihren Wünschen manipulieren zu können. Doch auch Lilli hat konservative Wertevorstellungen, für die sie einsteht: Alkoholkonsum und eine freizügige Sexualität sind für sie absolut verachtenswert – mit verheerenden Folgen.

Bemerkenswert ist nicht nur, dass sich das Buch trotz der häufigen Szenen- und Charakterwechsel flüssig und sehr spannend liest, sondern auch die Kunst der Charakterdarstellung, welche die Autorin hier vorzeigt. Diese geht nämlich weit über die üblichen „direkten“ Beschreibungen hinaus. Sowohl Lilli als auch Mathew besitzen eine ganz eigene Ausdrucksweise. Während Mathew spricht und denkt wie ein einfacher Mann, merkt man Lilli ihren hohen Stand in der Gesellschaft sofort an. Sie ist eine äußerst eloquente Frau – zumindest, so lange ihre Selbstbeherrschung stark genug ist. Sobald Lilli die Kontrolle verliert, wird sie so vulgär, dass sie selbst der dreckigsten Gasse entsprungen sein könnte. Diesen Wechsel finde ich durchgehend gelungen, macht er Geschichte und Charaktere doch erst so richtig lebendig.

Es finden sich auch durchaus ein paar Wiederholungen, die mich persönlich aber gar nicht gestört haben. Wenn beispielsweise ein Charakter eine bestimmte Eigenschaft oder eine bestimmte Beschreibung innehat („Allerweltsgesicht“), finde ich es vollkommen legitim, diese zu wiederholen, wenn es in einer Szene um die Schilderung ebendieses Charakters geht. Ich kann zwar verstehen, wenn sich andere Leser daran stören, finde es aber persönlich eher eine Hilfestellung um zu zeigen, von welchem Charakter gerade gesprochen wurde. Wiederholungen a la „sagte“ in jedem 2. Satz sind mir wiederum keine aufgefallen.

 

Fazit
„Der Hölle Zorn“ ist ein Roman, der sich sowohl für Fans des Genres eignet, als auch für die Leser, die normalerweise eher einen möglichst weiten Bogen um historische Romane machen. Ganz besonders würde ich das Buch aber all denen ans Herz legen, die sich für Serienmörder und Jack the Ripper interessieren. In „der Hölle Zorn“ geht es keinesfalls um das seitenlange, sensationsgeile Ausschlachten der Ripper Morde, sondern viel mehr um die Erstellung eines (fiktiven, aber auf realen Tatsachen beruhenden), psychologischen Profils einer bislang eher unbekannten Verdächtigen: einer Frau.

Dabei entspringt Frau Neebs‘ Autorenfeder eine derart glaubhafte Protagonistin, dass es einem als Leser eiskalt den Rücken runterläuft.

Ich kann nur jedem empfehlen, sich am Ende die Zeit zu nehmen, das Nachwort zu lesen und noch einmal über die Geschichte (sowohl die reale, als auch die fiktive) nachzudenken. Ich habe es bisher einfach immer als gegeben betrachtet, dass der Ripper ein Mann war. Das ist vorbei.