Rezension

Jeder Satz basiert auf Fakten

Mord in der Sonntagsstraße - Peter Englund

Mord in der Sonntagsstraße
von Peter Englund

Bewertet mit 5 Sternen

Historiker Peter Englund hat in seine Jugend in Stockholm verbracht, seziert einen aufsehenerregenden, weil realen Mordfall aus dem Jahr 1965, mit einer beeindruckenden Anatomie der gesellschaftliche Entwicklung Schwedens bis zur idyllischen Vorstadt mit neun unterschiedlichen Haustypen im Stil der „Volksheimatarchitektur“ und ebendort geschah der Mord.

Schweden sah sich zwar gerne als ein Land, in dem gesellschaftliche Klassen genauso tot waren wie die Ideologien was den sozialen Aufstieg einfacher machen sollte.

Die 18-Jährige Eva Marianne Granell, Spitzname Kickan, war in jenem Sommer im Bett ihres Elternhauses in der Sonntagsstraße, dem Söndagsvägen 88 im Stockholmer Vorort Hökarängen tot aufgefunden worden. Gerade war sie von einer mehrwöchigen Urlaubsreise mit ihrem Verlobten aus Spanien zurückgekehrt. Anfangs vermutete man einen Selbstmord der jungen Frau, weil Spuren von Fremdeinwirkung fehlten. Der Spurensicherer Lange erkennt im Tatortfundbericht eine kühl registrierende Prosa, die bestimmende Eigenschaft des gesamten Romans, sachlich und humorbefreit oder sollte hier etwas lustig sein.

Es wird über die Geschichte Stockholmer Vororts Hökarängen, die Verdächtigungen gegen den Svensson, den Verlobten von Kickan, den ermittelnden Kriminalkommissar GW Larsson, Kickans Nachbarin Lillian, die aufkommende Methode der Erstellung von Täterprofilen, dem sogenannten Profiling, die Bedeutung des Starts des Fernsehens, der Medien, des großen Detektivs Öffentlichkeit und nicht zuletzt über die Polizei-Dienstkleidung im Detail berichtet.

Peter Englunds höchst eigenartige persönliche Motivation: Es geht um seinen alten Traum, an einem Thema zu arbeiten, das noch in Erinnerung der Menschen ist. Rein technisch gesehen beschäftigt sich der Historiker nicht mit der Vergangenheit, sondern er studiert die Hinterlassenschaften der Vergangenheit, so Englund. Er interpretiert (im Nachhinein) Untersuchungsergebnisse mit dem verhafteten Verdächtigen auf seine eigene Weise.

Mit Prolog, sechs Kapiteln, Epilog, Nachwort und Anmerkungen, eine akribische Arbeit des Historikers Englund. Die 110 Fußnoten sind ein unwiderlegbarer Beleg dafür, dass die Geschichte dieses Verbrechens keine Fiktion ist, aber für die Verbrechensanalyse manchmal banal bis irrelevant. Es hat den Anschein, dass sich der Historiker Englund, gewohnt wissenschaftlich stichhaltig zu veröffentlichen, mit seiner Geschichte eines Verbrechens nur „austoben“ wollte. Sollte ein Programmdirektor des Fernsehens dieses Drehbuch für eine seiner „True-Crime“-Serie entdecken, wollte er frohlocken. Das Nachwort gibt Zeugnis von der unglaublichen Detailarbeit des Autors: Versuch, ein Bild von Schweden zur fraglichen Zeit zu entwerfen und er konstatiert eine abgrundtiefe Kluft in den Unterhaltungskrimis zwischen Schein und Wirklichkeit.

Das Gefühl der Bedrohung (Kalter Krieg, Berlin-Krise 1961 und Kubakrise 1962) sei oft unterdrückt worden, sublimiert, aber nach Art sublimierter Ängste tendierte es dazu, an anderer Stelle wieder an Tage zu treten, zum Beispiel in Situationen wie nach der Ermordung Kickans. Auf diese Schlussfolgerungen kann nur ein Historiker kommen. Eine fragwürdige Feststellung betrifft die Vermutung, dass Menschen selten als Mörder debütieren, sondern in der Regel zunächst mit anderen, kleineren Verbrechen angefangen haben.

Die Kombination aus True-Crime, Englunds Kindheitserinnerungen, zum Zeitpunkt des Verbrechens war er 8 Jahre alt und seinen sorgfältigen Recherchen ergeben einen sehr lesenswerten Roman.